Theater-Tod im Urwald-Kitsch
Nebelschwaden wabern durch den Raum, Tiergeräusche dringen an unser Ohr. Die Welt ist ein wild wachsender Urwald. Irritierend sind in diesem maßlos wuchernden Ambiente nur die griechisch-römischen Gipsfiguren, die ahnen lassen, dass wohl mehr gezeigt werden soll als das Eindringen in eine urtümliche Natur.
Daneben spreizt sich machtvoll der Kitsch: Im Hintergrund werden, als träten sie aus einem spätmittelalterlichen Altar-Fenster ins Leben, vier Figuren. Menschen? In diesem Pseudo-Garten Eden erscheinen sie als Mischwesen aus Natur und Technik. Dazu rauscht mächtig das Deutsche Requiem.
Drei Männer, deren Geschlecht an ihrem überdimensionierten künstlichen Gemächt eindeutig erkennbar ist, und eine Frau, deren Busen auch keine Zweifel am Geschlecht aufkommen lässt, bevölkern den Wildwuchs. Warum sie später, in zahllosen Kopulations-Szenen, ihre spezifischen Fähigkeiten austauschen, mag verstehen wer will. Von nichtssagenden Texten begleitet, sind sie einfach nur billig.
Es geht, um den Anlass nicht so verheimlichen, um die Uraufführung des Stückes Die Vernichtung von Olga Bach, die Ersan Mondtag für das "Konzert Theater Bern" bereits 2017 auf die Bühne gebracht hat. Der zum Jung-Star der Regie hochgejubelte einunddreißigjährige Berliner gießt freilich so viele Effekte, Farben und Kitsch–Orgien über die banalen Texte, dass das Theater unter all dem kunstvollen Firlefanz erstickt. Denn eins ist deutlich, wenn auch kaum verständlich: Was Mondtag, der nicht nur Regie führt, sondern auch das Bühnenbild und die Kostüme entworfen hat, aus seiner Fantasie-Welt hervorlockt, hat mit Olga Bachs Text nicht das geringste zu tun.
Wohl selten kann man so genau wie hier bewundern, wie ein Regisseur die Herrschaft über einen Autoren-Text erobert. Denn wenn es im Urwald brummt und wummert, wenn das Darsteller-Quartett mehr und mehr in mechanisch ablaufende Bewegungen verfällt, einige Male alle Darsteller im gleichen Rhythmus, auch im Duett ruckeln und zucken, wird’s ebenso ermüdend wie langweilig.
Dass die Figuren ihre vermeintliche Nacktheit, die Männer Sixpack und Penisse, die Frau ihre Brüste fantasie- und farbenfrohen Ganzkörper-Anzügen zu verdanken haben, mixt in den Dauer-Kitsch immerhin eine Portion distanzierter Künstlichkeit. Von Kunst zu reden dürfte sich freilich verbieten.
Um was es eigentlich geht? Ja, das ist und bleibt 75 Minuten lang die große Frage. Denn vor allem in der letzten gefühlten halben Stunde wird der Text endgültig unter den zunehmend lauter stampfenden Füßen des Quartetts in den Urwald getreten. Dem Vernehmen nach, ausweislich des Textes im Programmheft, geht es der Autorin und dem Regisseur um „eine sozialkritische Zeitdiagnose der Gesellschaft.“
Hochtrabender geht’s wohl kaum – in diesem Wust aus Nebel, Wort-Qualm und ausgestopften Wildschweinen. Arroganter freilich auch nicht. Zumal dann, wenn Textfetzen zu verstehen sind, die derart gekünstelt und auf Stelzen daherkommen, dass es zum Theater-Erbarmen ist. „Habt ihr schon mal einen gesehen, der getötet wurde?“, wird tatsächlich einmal gefragt. Was gemeint sein könnte, bleibt ihm Nichts hängen.
Wenn sich dann die von den vorhergehenden Kopulationen noch keineswegs erschöpften Kunst-Nackten in eine Art Rausch steigern, die Szene verpixelt wird, sich das Quartett in stampfenden Halluzinationen zu verlieren scheint, ist „Die Vernichtung“ am Ziel: Vernichtet ist das, was Theater eigentlich ausmacht: Menschen darzustellen. Dafür endet der unsägliche Abend tatsächlich mit Beethovens „Eroica“, während sich einer der Akteure seiner künstlichen Nacktheit entledigt - und am Ende, nun real nackt, ebenso albern wie vermeintlich naiv durch den Urwald hüpft.
Zum Schluss sei noch, mit nicht geringem Erstaunen, vermerkt: Die Vernichtung, vom Konzert Theater Bern als Übernahme jetzt in Köln gelandet, gehörte 2017 zu den zehn Inszenierungen, die, weil angeblich „herausragend im deutschsprachigen Raum“, zum Berliner Theatertreffen geladen war. Inszeniert vom „Nachwuchsregisseur, Bühnen- und Kostümbildner des Jahres 2016".