„Der Mensch ist frei geboren und überall liegt er in Ketten.“
Benny Claessens, Schauspieler und Regisseur, erhielt 2018 beim Theatertreffen der Berliner Festspiele den Alfred-Kerr-Preis für seinen Auftritt in Jelineks Am Königsweg. Hierfür wurde er außerdem von der Kritikerumfrage der Fachzeitschrift „Theater heute“ zum Schauspieler des Jahres gewählt.
White People’s Problems/The Evil Dead ist seine erste Inszenierung am Schauspielhaus Bochum unter der neuen Intendanz von Johan Simons.
Ein in jeder Beziehung ungewöhnlicher, teils interessanter, dann wieder verwirrender Theaterabend mit einigen Längen - nicht verwunderlich bei vier Stunden Dauer. Spielort ist die „Zeche Eins“, die Nebenspielstätte des Bochumer Schauspielhauses. Die Zuschauer sitzen auf einer Tribüne auf einer Seite eines weiß gekachelten, großen Raumes, in den eine Waschkaue, wo sich Bergarbeiter umzogen und duschten, sehr naturalistisch eingebaut wurde. Der Boden ist mit Asche bedeckt.
Man wird beim Einlaß vorsorglich mit Ohrstöpseln versorgt, was bei der zum Teil sehr lauten Musikbeschallung auch ratsam ist.
Claessens will mit seinem Projekt untersuchen, ob der Stückekanon, der an den Stadttheatern den Spielplan bestimmt und seiner Meinung nach die Probleme einer weißen Oberschicht spiegelt, auch durch eine andere Brille betrachtet werden kann – aus einer Perspektive von Minderheiten. Ausgehend von Gerhart Hauptmanns Arbeiterdramen Die Weber und Vor Sonnenaufgang soll untersucht werden, welche Rolle Sexismus und Rassismus bei der traditionellen Interpretation spielen. Im Laufe des Abends wird jedoch diese Fragestellung bald begraben und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Vier der fünf Schauspielerinnen begraben unter Kreischen und Kichern Reclam-Hefte der Hauptmann-Stücke.
Die Produktion ist ein Potpourri von Szenen der verschiedensten Art. Sie spannen einen Bogen von Theaterreminiszenzen an die Vergangenheit („Früher haben sie wirklich Theater gespielt. Heute ist alles so modern.“ Oder: „Damals Zadek. Der ist tot. Damals Peymann. Der lebt noch. …. Und Simons. Der ist ganz jung.“) bis zu Darstellungen des Bergbaukumpels. Bernd Rademacher gibt den Vater, der seinem Sohn (William Bartley Cooper) alte Gedichte und Geschichten aus dem Bergbaumilieu vorliest. Sein Sohn hält einen Monolog („Der Ruhrkumpel schreitet zur Schicht.“ Und fünf Statisten betreten, „Rhabarber, Rhabarber“ murmelnd, den Raum. Sie werden im weiteren Verlauf der Inszenierung primär das Vergnügen haben, im Hintergrund endlos zu duschen.
Dieser Abend hat Sequenzen, die sich schier endlos und fast unerträglich in die Länge ziehen. So zu Beginn, wo die sieben Darsteller (zu nennen sind noch: Thelma Buabeng, Ann Göbel, Anne Rietmeijer, Kate Strong, Jing Xiang) schluchzend oder stumm, einmal „Hallo“ sagend, vor sich hinbrabbelnd auf- und abgehen, grimassieren, sich hinsetzen und mal einen Kaffee aus einer der auf einem Tisch bereitstehenden Kannen schlürfen. Es geschieht nichts wirklich Spektakuläres und man wartet auf eine Art Beginn. Später werden dann facettenartig Probleme der Frauen angerissen. So berichtet Thelma Boabeng von früher, wo sie aufgrund ihrer Hautfarbe nur eine Sklavin in den Baumwollfeldern gewesen sei. Rollen auf der Bühne hätten die eines Dienstmädchens oder einer Refugee sein können. Bezugnehmend auf Buck-Morss‘ Werk Hegel und Haiti spielt Ann Göbel Hegels Tochter. Kindlich schmiegt sie sich an den Vater (Rademacher), wirft ihm aber dennoch vor, er habe über die Sklaverei nur als Metapher geschrieben, nur in Schwarz-Weiß gedacht, nicht das wahre Wesen erkannt. Er sei mit Blindheit geschlagen gewesen.
Auch Kannibalismus ist eines der Themen des Abends. Im hinteren Teil des Raumes drastisch veranschaulicht, wenn scheinbar endlose Innereien aus auf Tischen liegenden Menschen gezogen und verzehrt werden.
Afrikanische Stammestänze, Mönche in schwarzen Kutten….. es gibt viele Bilder zu betrachten.
Die Schauspieler sind überaus engagiert und durchaus auch in der Lage, die manchmal verquaste Aneinanderreihung von Aspekten, Lauten, mimischen Darstellungen intensiv zu vermitteln.
Dennoch fehlt irgendwie ein roter Faden, ein halbwegs klares Fazit. Der Ansatz bzw. die Ausgangsüberlegung verschwimmt. Die häufigen Wiederholungen machen es auch nicht besser. Eigentlich schade.
Der Abend lässt niemanden kalt, aber er entflammt auch nicht.