Übrigens …

Weihnachten auf dem Balkon im Köln, Theater am Dom

Zum Wiedererkennen

Es begann schon chaotisch: von den vorgesehenen zwölf Schauspielern waren nur drei da, zwei weitere und eine sechste trödeln hinterher, alle schimpften auf die Kölner Staus und die chronisch verspätete Deutsche Bahn. Auch zwei Frauen für die Garderobe und Maske wurden im Publikum gesucht und hinter die Bühne gebeten. Ein origineller Beginn: man erfuhr, dass die vorgesehene Rollenverteilung den Schauspielern eh nicht gefiel, und einigte sich gezwungenermaßen auf eine Doppelbesetzung; nun konnte es endlich losgehen mit der Geschichte in Paris an Heiligabend in zwei Familien. Aber beileibe nicht in den Wohnungen, sondern auf zwei nebeneinander liegenden Balkonen im Mehrfamilienhaus. Markus Ganser hat im witzigen Stück des Franzosen Gilles Dyrek sowohl Regie geführt wie auch eine originelle und praktische Bühne gebaut: man sieht sich gegenseitig und kann sogar mit etwas Mühe herüberklettern. Wenn auch mit abenteuerlicher Mühe unter gefährlichem Verlust der Regenrinne. Was man aber nicht sieht, ist die eigentliche Geschichte drinnen vor dem Weihnachtsbaum und in der Küche. Das ist auch gar nicht erforderlich, denn alle Personen stürzen regelmäßig heftig diskutierend an die frische Luft.

Was man auch nicht sieht, ist die Arbeit von drei Damen für Garderobe und Maske und zwei Inspizientinnen, denn alle Akteure mussten sich fast im Minutentakt umziehen, um bei Szenenwechsel pünktlich auf dem gegenüberliegenden Balkon zu erscheinen - und das bei sehr beengtem Backstage; zu Recht erhielten auch sie einen Sonderapplaus. Theaterchef Oliver Durek berichtete von notwendigen sechs Wochen harter Proben, da es sich um eine Neuinszenierung mit neuem Team handelte, die zuvor noch da nicht an anderen Häusern gelaufen ist. Viel Gelächter erntete eine kleine Aktion, als eine Hand durch den Vorhang dem Markus Majowski, wunderbar alternierend als Patrick und Christophe, noch rasch die Perücke auf die Halbglatze bugsierte. Anfangs ist schon Aufmerksamkeit vonnöten, um die Personen in dieser Posse auseinander zu halten: die hochschwangere Solange (Cynthia Thurat) wechselt in die fesch-jugendliche Oma Anne-Cécile, Claus Thull-Emden als Sébastien, schlaksiger Bruder von Marjorie wandelt sich als Träger eines schicken knallroten Jacketts blitzschnell in den pubertierenden Punk Bernard mit sichtbarem Slip, riesigen angesagten Boots und mitgebrachtem jungen Frettchen, welches man an Heiligabend keinesfalls alleine lassen dürfe. Den champagnerselig-polternden Weihnachtsmann spielt Frank Büssing und dann wieder den vergeblich fürsorglichen Vater des Punks. Der verzogene Knabe Benjamin, das kleine Monster mit Hirschpulli, Zipfelmütze und ständig mitgeschlepptem Motorrädchen ist Jens Hartwig und im Wechsel Ehemann von Solange, der ob der Niederkunft erst einmal in Ohnmacht fällt.

Gilles Dyrek hat für die zwei benachbarten Familien auf zwei benachbarten Balkonen einen regelrechten Albtraum entwickelt, mit so vielen rasanten und witzigen Dialogen, dass man sich kaum traut zu lachen, um den nächsten Gag nicht zu versäumen. Nix ist mit anheimelnder Ruhe und gemütlichem Beisammensein, denn jede der zwölf Figuren besitzt ein beträchtliches Konfliktpotenzial, welches ausgelebt werden will, angefangen vom geschiedenen Mann, der von seiner neuen Freundin nicht ständig angerufen werden möchte, den ob der Entbindung kotzenden Kindsvater und über den Fleischer Chrístophe, der als angeblicher Arzt als Einziger die Ruhe behält, die Entbindung perfekt organisiert und dazu Grillzange und Fleischplatte anfordert. Bis hin zur gestressten Hausfrau; denn ihrem ungeschickten Ehemann ist die Pute auf die Erde geknallt, gefolgt von der teuren Buttercremetorte. Aber man weiß sich zu helfen, die Reste werden vor dem Servieren zusammengekratzt und auch die Austern der Vorspeise zeigen Wirkung: „Nach Muscheln ist gut kuscheln“.

Manch einer im ausverkauften Hause dürfte sich und sein Umfeld partiell wiedererkennen, zumal statistisch an Weihnachten die meisten Beziehungen in die Brüche gehen. Die sechs bzw.zwölf Akteure, Profis aus Theater und Film und überwiegend bereits im TaD aufgetreten, agierten mit offensichtlich sehr großem Vergnügen, mit gutem Timing und voll überzeugend für die jeweiligen Rollen, in die sie immer wieder umschwenken müssen - im Habitus, der Stimme, im Ausdruck. Ein Theaterstück über das Fest mal ganz ohne weihnachtliche Melancholie und Lametta, ohne religiöse Besinnung oder tiefsinnige Betrachtungen zum Feiertag, sondern einfach nur nett und lustig. Und das ist voll gelungen. Und erst recht nach dem Stoßseufzer von Eliane zu ihrem Ehemann Christophe: „Und morgen kommt dann Deine Familie“. Licht aus, heftiger Applaus an.