Übrigens …

Kongo. Eine Postkolonie im Köln, Theater im Bauturm

Ein Lehrstück über die Ausbeutung des "schwarzen" Kontinents

Hans Falladas Kleiner Mann-was nun? zu Beginn der Spielzeit; nur wenig später Alfred Döblins Amazonas; und nun, als neueste Uraufführungs-Inszenierung, ein Theater-Duo namens Kongo! Eine Postkolonie. Wenn sich derzeit ein Theater aktueller Themen annimmt, ohne mit ideologischen oder dogmatischen Moralkeulen „Geschichte“ zu schreiben, europäische Sünden mit all ihren Auswirkungen auf den nahezu gesamten Globus deutlich zu machen, dann ist es das private „Theater im Bauturm“ in Köln.
Jan-Christoph Gockel, der sich, in einer Koproduktion des Mainzer Staatstheaters mit dem „Bauturm“, in einem Doku-Drama Der 7. Kontinent, der drohenden Plastik-Katastrophe in den Meeren, in einer Mischung aus Live-Videos und Theater-Dramaturgie, angenommen hat, ist für „Kongo Müller verantwortlich. Seine Regie-Kollegin Nina Gühlstorff inszenierte Teil 2, KoNGOland. Unter dem Titel Kongo! Eine Postkolonie gelang nun ein packendes Stück Theater. Ein Theater, das den Blick auf ein Land voller  Bodenschätze lenkt. Schätze, wie etwa Coltan, nach denen die ganze technisierte Welt giert.
Es scheint ein Verwirrspiel. Ein Spiel, in dem, medial aufbereitet, die Brutalität marodierender Banden im Kongo Bild wird. Original-Aufnahmen stehen für die Realität. Für sie steht auch ein TV-Interview des DDR-Fernsehens von 1966 mit Siegfried Müller. In ihm erlaubt der hoch dekorierte Soldat der Wehrmacht, von der Bundeswehr aber abgewiesen, Einblicke in seinen Haudegen – Charakter. Er erwirbt sich den Namen „Kongo Müller“, bald weltweit wegen seiner Brutalität bekannt. Ein Mann, der vorgeblich- nicht am Hindukusch, wie Jahre später beschworen–im Kongo „westliche Werte“ verteidigt. Dass er auch „Neger killt“, wie er gesteht, ist für ihn dazu kein Widerspruch.
Das Interview mit ihm bietet Regisseur Jan–Christoph Gockel und seinem Schauspieler-Solisten Laurenz Leky, Spurensuche vor Ort zu betreiben, im Ost-Kongo. Wie ist das mit dem „deutschen Wesen“, repräsentiert durch Müller und einen weiteren Deutschen, Martin Kogler, Chef über 20.000 Bauhelme der UNO im Ostkongo. Soll an Ihnen „die Welt genesen“?
Spurensuche betreibt also das Theater-Duo Leky und Gockel. Dass Leky einst als Mitarbeiter einer Hilfsorganisation Afrika den Kongo kennengelernt hat, fügt der Geschichte eine weitere Ebene und neue Perspektiven hinzu. Mitreißend, wie er mit seinen Erfahrungen spielt, wie er seine eigene Biografie einbringt, sich die gleichen Fragen stellt, die sich auch „Kongo Müller“ gestellt hat. Filmaufnahmen dieser Spurensuche, fast banale afrikanische Szenen entstehen. Gleichwohl dringt man mehr und mehr in die Szene ein. So entsteht ein nicht selten ebenso verblüffendes wie verwirrendes Bild eines Landes, das verwirrend genug ist.
Leky, fast 80 Minuten lang allein auf der Bühne, schafft es dabei spielerisch wie spielend, die verschiedenen „Handlungsfäden“ miteinander zu verknüpfen. Ironie hilft dabei, selbst das Ernsteste mit Humor zu sehen. Und eine starke Prise Selbstironie verhindert Überheblichkeiten und die allzu billige Verurteilung der Müllers und Koglers. Dass sich dabei historische Szenen, in denen marodierende Freischärler und Soldaten Zivilisten barbarisch ermorden, besonders im Gehirn festsetzen, bleibt nicht aus.
Kongo Müller ist ein mitreißendes Stück Theater, dem Leky seinen unnachahmlichen Stempel aufdrückt. Quirlig und voller Ironie beherrscht er die Bühne. Dabei bleibt sein Spiel ohne jede Häme und Verurteilung derer, die den hintergründigen Stoff für Gockel und ihn bieten. Ein Stück besten dokumentarischen Theaters
Im zweiten Teil von Kongo! Eine Postkolonie, in KoNGOland, verzahnt Leky seine eigenen Erfahrungen mit der der Wirklichkeit: Der Entwicklungshilfe wird auf den meist hohlen Zahn gefühlt. An den Hauptstraßen hocken die „Helfer“, trauen sich nachts keinen Meter aus ihren umzäunten Refugien in den naheliegender Busch. Und wenn und wie Leky, nun fast zurückhaltend, die verquollenen und selbstgenügsam abgesonderten Rechtfertigungen, für die „Werte des Westens“ einzutreten, mit kaum spürbarer Ironie in der Luft zerfetzt, ist bewundernswert. Er nimmt sich aber auch selbst nicht davon aus. Selbstironie dringt auch hier durch fast jeden Satz. Selbstkritik zudem dann, wenn er spüren lässt: „Man wird in eine Rolle gedrängt“, der man kaum entrinnen kann – als Weißer im kongolesischen Afrika.
Dann legt Leky noch einmal verbal nach: Er hebt an zu einer Anklage, die ihn bis zur Erschöpfung treibt. Dann lässt er sich, von etlichen auf die Bühne zuvor gebetenen Zuschauern, entkleiden - und verlässt nackt den Raum. Von der Bühne aus mitten durch die Zuschauerränge zum Ausgang. Es ist eine ebenso entblößende wie starke Szene. Verlässt er den Raum doch mit den Worten „Ich bin schwarz und habe eine große Stärke: Ich habe keine Angst.“
Verdienter Jubel nach 3 1/4 Stunden für eine grandiose schauspielerische Leistung und umwerfende Performance eines Mannes, dessen Hauptberuf es übrigens ist, Chef des Kölner „Theaters im Bauturm“ zu sein.