Übrigens …

Ein grüner Junge im Köln, Schauspiel

Das Ende einer Ikone

Er hat es geschafft. Frank Castorf hat, mit Ein grüner Junge von 1875, Fjodor Dostojewskijs letzten großen Roman als sechsstündiges Theaterstück auf die Bühne gebracht. Im Depot des Kölner Schauspiels schloss er damit sein Marathon-Programm, alle fünf großen Romane des Russen ins Bühnendramatische zu wenden. Schuld und Sühne, Der Idiot, Die Dämonen und Die Brüder Karamasow gingen der neuesten Uraufführung voraus, der das Kölner Publikum kurz nach Mitternacht zujubelte. Die Pause hatten freilich zahlreiche Zuschauer zur Flucht genutzt.

Arkadij (Nicolay Sidorenko) heißt der Grüne Junge, dessen Kampf im und ums Leben den Roman prägt. Unehelich ist er, Sohn eines adeligen Grundbesitzers und einer Magd. So war er „von niederer Geburt“. Diesen Makel vergessen zu lassen, tritt er als Neunzehnjähriger in die Szene. Reich will er werden, „reich wie Rothschild", um das zu erreichen, was ihm nicht in die Wiege gelegt wurde: Anerkennung und Freiheit.

Auf seinem Weg verfängt er sich erst einmal in den Untiefen einer zutiefst zerstrittenen Familie, wenn er als Student aus Moskau nach St. Petersburg zurückkommt. Er sucht seinen Vater, findet ihn – und das Drama kann beginnen. Anfangs noch voller Bewunderung für ihn, wird das Verhältnis der beiden zunehmend radikaler und spannungsreicher.

In zahlreichen parallel verlaufenden Geschichten geht es um Intrigen und geheime Dokumente, zum Scheitern verurteilte Liebesbeziehungen und explosive Briefe. Eine Mixtur, die selbst den Roman zum großen Rätsel werden lässt. Wie sehr erst Castorfs Versuch, das alles in ein verständliches Stück Theater zu drehen.

Nach einem langen Abend ist man am Ende eigentlich so schlau wie zuvor. Gesehen hat man explosiv aufgeladene Szenen, sich mit überschlagenden Stimmen anschreiende Individuen und, vor allem und immer wieder, eine per Video-Kameras auf eine riesige Leinwand projizierte Geschichte, die sich in den Räumen einer Datscha (Bühne Aleksandar Denic) unter und hinter ihr abspielt.

Knallharte, fast brutale Nahaufnahmen, die jeden Wutausbruch und die zahllosen Schreiorgien übergroß ins Bild bringen, haben das Theater an den Rand gedrängt: Das Theater der Zwischentöne und Feinheiten verliert sich im Gedröhne der Videospektakel. Doch Castorfs Spiel mit dem dramaturgischen Hammer macht die Story um Arkadij, macht dessen Schwankungen, Sehnsüchte und Unsicherheiten eher unverständlich denn nachvollziehbar.

Gleichwohl entwickeln Castorfs Bildfindungen und zupackend-grellen Szenen auch eine eigenartige Sogkraft. Die Mixtur aus brutaler Direktheit, schauspielerischen Verausgabungen und fast schamlos zu nennenden Video-Sequenzen dürften sich einprägen. Wie das Zertrümmern einer Ikone, die zuvor, einen langen Abend lang, unübersehbar, im Hintergrund hing. Wie sie liegen die menschlichen Beziehungen im Grünen Jungen am Ende zerschlagen am Boden. Man hat verstanden: Castorfs Sicht auf die diese, auf unsere Welt ist alles andere als optimistisch.