Der Clown im Krieg
Die Große Bühne ist heute ganz klein. Drei Meter Tiefe vielleicht, dafür über die gesamte Breite des Saales. Rundum schmutzig-schwarz verbrettert: Die dunkle Grundierung für das kriegerische Geschehen durch die Jahrtausende, das sich mit ganzer Wucht allerdings hinter den Brettern abspielen wird (Bühne: Michael Sieberock-Serafimowitsch). Vorne fließt wenig Blut, da wird vorrangig debattiert, persifliert, gestikuliert, geblödelt und „geböhmakelt“, will heißen, - in einer leicht tschechisierten volkstümlichen Sprache des Prager Deutsch - von Kriegstreibern und -verlierern aber auch von Glückspilzen und Pechvögeln in diesem einen und vielen anderen Kriegen der Menschheitsgeschichte berichtet. Es geht zwar zunächst um Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk während des ersten Weltkrieges, die allerdings in der Düsseldorfer Version von Peter Jordan (Bearbeitung und Titelrolle) so gar nichts von einem folkloristischen Schelmenroman haben, sondern als grotesker Reigen zwischen Pittoreske und Apokalypse über die Bühne gehen.
Schwejk tritt auf. Leicht weiß geschminkt mit Chaplin-Bärtchen und blonden Locken. In beige-brauner Uniform stellt er sich dem Publikum vor: Name, Herkunft „aus Böhmen, ganz kleines Dorf“, wo er Hunde „besorgt, gezüchtet, gekreuzt und verkauft“ habe. Mit großem Reisigbesen beginnt er zu kehren: Strafeinsatz statt Fronteinsatz. Wieder mal Glück gehabt. „Ich bin ja blöd!“ ist seine verschmitzte Devise für sein dumm-schlaues Lavieren durchs Kriegsgeschehen.
Zu dem leicht verzerrt aus vier altmodischen Tröten tönenden Soldatenlied: „Marschieren oder sterben“ tanzen fünf Mitstreiter des braven Schwejk auf die Bühne: drei Frauen, zwei Männer, alle in gleicher Uniform, mit leicht geweißten Gesichtern, Hitlerbärtchen und auf diesmal schwarzen Locken Pickelhauben. In rasantem Rollenwechsel verlassen sie immer wieder das Terrain des ersten Weltkrieges und umspielen den clownesk verdutzten Schwejk mit Figuren und Texten aus der Kriegsliteratur und -geschichte der Jahrtausende: zu schnarrenden Stimmen historischer Originalaufnahmen verflicht Peter Jordan in seiner Schwejk- Adaption Stationen des Hasek-Originals mit Texten aus Aischylos‘ „Persern“, Schillers „Wallenstein“ über Brechts „Schweyk“ bis hin zu Oliver Stones „Platoon“. In makabrer Verfremdung durch Kostüm und Gestik, in bis zur Karikatur verbrämter Pose erkennen wir sie doch an ihren Originaltexten, diesmal auf Hochdeutsch: den Pharao Xerxes in glitzerndem Hemdchen mit üppigem Schmuckgehänge sowie den griechischen Kriegsgott Ares - am Ende von Kopf bis Fuß in Goldrüstung - aber auch den erbärmlich missbrauchten Woyzeck und das gewitzte Bürschchen Felix Krull. Und unter all diesen erkannten und unerkannten Figuren tritt immer wieder Adolf Hitler auf (grotesk gegeben von Hanna Werth). Zunächst als dümmlich-verängstigter Student, den niemand will, weder die Kunstschule noch das Musterungsbüro, der überall vor verschlossene Türen läuft. „Was kann der schon anrichten“, meint Schwejk treuherzig, bevor die Drohgebärde des unterschätzten Fremdlings eskaliert. Mehr und mehr entsteht auf der Bühne ein einziges Tohuwabohu. „Erschießen!“ wird zur Devise des jeweils Mächtigeren, einer nach dem anderen wird abgeführt, verschwindet hinter der schwarzen Wand und taucht bald darauf am anderen Ende des Grabens in neuer Rolle wieder auf, in der ihm das Gleiche passiert. Ein makabrer Slapstick zum Wahnsinn des Krieges. Grotesk erklingen dazu Musikfetzen aus Verdis „Nabucco“ oder Wagners „Siegfrieds Tod“ zwischen kaum verständlichen Original-Radiokommentaren zum Ersten Weltkrieg.
Und mitten drin bleibt Schwejk ungerührt, „treu, zuverlässig, blöd, wie die Hunde“, charakterisiert er sich selbst. Mit aufmerksamer Unbeweglichkeit lässt er alles um sich herum geschehen. „Das Leben soll mich umbringen, nicht der Tod“, sinniert er lapidar. Grandios, wie Peter Jordan diese glaubwürdige Clownsfigur ohne Clownsmaske erschafft. Zu klug, um blöd zu sein und doch zu blöd, um schlau zu sein, so gibt er diesen „braven Soldaten“ zwischen Naivität und Anarchie in anrührender Melancholie mit schauspielerischer Bravour.
Und dann, wenn man gerade meint, die Parodie auf Menschenverachtung und Sinnlosigkeit hinlänglich verstanden und erschöpfend beobachtet zu haben, bricht das Schlachtengetümmel durch die Rückwand: Steinsbrocken stürzen auf die Bühne, ohrenbetäubender Kanonendonner, Bombeneinschläge, das Pfeifen von Geschossen dröhnen aus dem Hintergrund. Qualm steigt auf. Der Krieg ist im Saal angekommen. Chaos bricht aus: Pharao Amasis trifft auf Alliierte mit Gasmasken. „Die Sinnlosigkeit ist obszön“, brüllt einer und Hitler jammert in groteskem Tenor: “Hab mich eingeschissen - alles ist braun!“
Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Dennoch, wenn auch nicht an dieser Stelle, immer wieder entstehen Witz und Humor aus bewussten oder unbewussten Missverständnissen der Akteure. So gibt es gar Szenenapplaus, wenn die Zarentochter (hinreißend komisch: Minna Wündrich) als Lebedame im struppigen Pelz einen Monolog aus bedeutungslosen Gurr- und Klanglauten deklamiert.
Am Ende spielt das Ganze nicht mehr über, sondern unter der Erde im Bau eines weltklugen Maulwurfs (herrlich tapsig: Jan Maak). Fazit: „Der Krieg reinigt die Erde von den Menschen.“ Da unten treffen sie sich alle wieder, auch „die alte Welt“ ist jetzt dabei (bemitleidenswert hinfällig: Tabea Bettin). Sie philosophieren und klären uns auf über Staatsführer und –formen, über Krieg und dem, was danach kommen könnte. Sollte nicht der Schwejk vom treu loyalen Kriegshelden zum König, zum „Kaiser und Gott“ befördert werden? Oder bleibt doch nur eine Möglichkeit: Krieg?
Hier entfernt sich das sonst so brillante Duo Jordan und Koppermann dann doch etwas zu weit vom Hasek’schen Original und vertraut so gar nicht der subversiven Kraft der opulenten Satire, die Hasek 1921 begann , anfangs vorwiegend in Wirtshäusern schrieb und den Gästen gleich im Entwurf vorlas. Er veröffentlichte sie fortlaufend in kleinen Heftchen, die er mit einem Freund im Eigenverlag herausgab und die schnell zu Bestsellern wurden. Viele Figuren, Ereignisse und Anekdoten entstammen den Kriegserlebnissen des Autors und sind bis in die Einzelheiten authentisch oder gar autobiografisch.
Da hätte ein wenig mehr Vertrauen ins Publikum der Aufführung gut getan. Vielleicht sollten die Macher auf ihren Schwejk hören, der auf die Frage, wie es sich anfühle, blöd zu sein, verschlagen antwortet: „ Gut. Das merken ja nur die anderen.“ Ganz sicher hätten wir alles gemerkt.