Heldenzentrale - irgendwo im Nirgendwo
Es fing schon spannend an im Jugendtheater der „Comedia“: da soll eine Menge großer Kartons von den Kids zwei Etagen hoch in den grünen Saal geschleppt werden, wortreich gebeten von einem jungen Mann im weißen Anzug. Ist er der Hausmeister oder einer der Schauspieler? Egal, die Kolonne zieht nach oben, wo man auf das Geschrei der Papageien achten soll; im Theater? Hier bilden auch schon weitere Kartons eine ganze Wand - Puzzleteile der Lebensplanung, die man sich selbst zusammensetzen kann oder auch Symbol für häufigen Wohnungswechsel? Aber gleichzeitig praktische und transportable Kulisse, da das Ensemble mit dem Stück auch auf Wanderschaft gehen soll.
Da gibt es den schlacksigen Schüler Galip (Marius Bechen), der ständig zu spät kommt und Kreise auf der Bühne rennt, um den Schulbus zu erreichen und dabei die Kinder in der ersten Reihe „abschlägt“ (check, check, check); die machen das alle begeistert mit.
Galip ist der Sohn ausländischer Eltern, dessen Vater „es nicht geschafft hat“ und der für seinen Sohn ein besseres Leben wünscht. Das weibliche Pedant ist die sympathische Olivia (Laura Schürmann), ebenfalls Schülerin, die sich im Leben bedrängt fühlt und ständig von ihrer Mutter angerufen wird. Aber der Busfahrer (Nima Bazrafkan) hält alle Fäden in der Hand, wartet immer auf Galip und fährt dafür etwas schneller. Ist er einer der Helden in der Zentrale, nach denen im Stück gesucht wird? Er ist auf jeden Fall die Vertrauensperson, wie ein Lehrer, dem man beruhigt seine Kinder anvertraut. Location der Story ist vielleicht der Kölner Norden in Ossendorf, mit der JVA, mit Ikea und dem Wertstoffhof, wo der Bus immer vorbeifährt; die Tage bis zu den Sommerferien werden runtergezählt.
Das Team der „Comedia“ begab sich nach den früheren erfolgreichen Rechercheprojekte Taksi to Istanbul, Methode Baklava und Villa Utopia mal wieder auf die Suche, diesmal nach Helden und Superhelden, die man nicht ohne weiteres erkennen kann und auch nicht weiß, ob man vielleicht selbst zu ihnen gehört. Denn eigentlich hat jeder Mensch seine eigene einzigartige Superkraft - nur, die muss man halt finden. Die Autorin Charlotte L. Fechner hatte den Recherchebus mit Jugendlichen auf einer Veedelsrallye begleitet auf der Suche nach den dortigen Helden und der Frage, was es braucht, um ein Held zu sein. Nebeneffekt: man erfährt, was das Viertel lebenswert macht. Nach Anweisungen ging es zu den unterschiedlichsten Stationen, alle Erkenntnisse wurden in der Heldenzentrale gesammelt.
Olivia und Galip meckern über ihr vermeintliches Los, merken aber nicht, wie gut es ihnen eigentlich geht. Auch der überwiegende Teil der jugendlichen Zuschauer dürfte eher auf der Sonnenseite leben; oft sind sie sich nicht bewusst, dass die Eltern es nur gut mit ihnen meinen. Eindrucksvoll im Stück symbolisiert: ein Elternpaar mit Pappköpfen: „Aus Dir soll einmal etwas Großes werden“. Raffen das Jugendliche überhaupt in diesem Alter? Auf dem täglichen Schulweg sehen die Beiden einen nicht gebrauchten LKW irgendwo im Nirgendwo stehen, ein Medium, um unentdeckt aus ihren ungeliebten Dasein auszubrechen. Auf der letzten Fahrt geht der Schulbus kaputt - der immer vorher schon „kack-klack“ machte. Olivia konnte den Bus erstaunlicherweise reparieren, den sie dann auch selbst fahren sollte. Nett: die originelle Verwendung der Kartons für die Reparatur, wo Olivia richtig in den Papp-Motorraum krabbelt. Der letzte Schultag ist vorbei, das Abenteuer mit dem LKW naht: Olivia erfindet ein Feriencamp, wo sie überhaupt nicht erreichbar sei, und ihre Telefonkarte sei eh am Ende. Galip taucht zufällig auf, um eigentlich Gedichte zu schreiben. Die vermeintliche Fahrt mit dem LKW ist Basis für die Phantasie der Beiden über den Ausbruch aus dem bisherigen Leben. Aber es ist eine Utopie, denn bald merken sie, dass alles eine Illusion ist, sie finden in die Realität zurück.
In etlichen Gesprächen, auch mit dem sehr lebhaft diskutierenden jungen Publikum, werden zahlreiche Superhelden gefunden, viele Fragen an das Publikum gestellt, was man machen kann, was zu verbessern ist: Armen helfen, Alte über die Straße geleiten und den Einkauf hoch tragen. Auch zu Helden: Superman oder Harry Potter? Currywurst oder Döner? Schokolade oder Vanille?
Intention des Stückes, Helden zu erkennen und auch selbst ein Held zu sein, scheint am Premierenabend gut gelungen. Bei ultraviolettem Licht leuchten auf einmal die handschriftlichen Namen aller möglichen Helden auf den Kartons auf, mit Leuchtstiften dürfen sich die Kinder dort verewigen. Denn so sie sind auch selbst alle Helden. Zumindest seit heute.
Heldenzentrale ist ein Stück über Mut, Talente, Zugehörigkeiten sowie das Scheitern und das Sich-Nicht-Unterkriegen-Lassen. Wenn man will und sich traut, dann kann man - fast - alles, sogar LKWs reparieren. Gespielt von einem fantastischen Team mit großartiger schauspielerischer Leistung unter subtiler Regie, mit viel Ausstrahlung auf die Jugendlichen, die anschließend unbedingt für ein Selfie posieren wollten.