Mutter Courage und ihre Kinder im Münster, Wolfgang-Borchert-Theater

Mutter Courage wie aus dem Bilderbuch

Zwei Mal in kurzer Zeitspanne spielen auf Münsters Bühnen Varianten von Fahrrad-Rikschas zentrale Rollen. Wird im Kleinen Haus des kommunalen Theaters der Don Juan damit zum Ort seines Todes gefahren, so begleitet im Wolfgang-Borchert-Theater nun ein Fahrrad mit Kastenanbau die Marketenderin Mutter Courage durch die Wirren des Dreißigjährigen Krieges - die Basis ihres geschäftlichen Erfolges und so etwas wie „Heimat“ für sie und ihre drei Kinder. Olga Lageda stellt das Gefährt als einziges bewegliches Element auf ihre Bühne, die sonst aus einer Art Flachdachgebäude mit Türen und Fenstern besteht. Das ist zweckmäßig und genau das ist Meinhard Zanger wichtig für seine Inszenierung. Ihm geht es darum, dass nichts Extravagantes ablenkt vom Aussagekern des Stückes. Deshalb sind auch alle Kostüme sandfarben, beige. Keine Person sticht hervor. Alle sind Rädchen in der großen Kriegsmaschinerie. Das sind Prinzipien von großer Einfachheit, die aber große Ruhe in diesen Theaterabend hinein bringen.

Dabei ist es eigentlich eine ganz klassische Brecht-Inszenierung, die Meinhard Zanger, der Intendant des Wolfgang-Borchert-Theaters mit Mutter Courage und ihre Kinder vorlegt. Eine, die auch bei den sehr kritischen und zugleich sehr konservativen Brecht-Erben durchaus auf Wohlwollen stoßen dürfte. Bei Zanger irritiert schlichtweg nichts, lenkt aber auch nichts ab von den hier zu Text gewordenen Grundsätzen des Meisters. Und dennoch werden die drei Stunden, die dieser Abend dauert, an keiner Stelle langweilig, denn die vermittelte „reine Lehre“ macht wieder einmal deutlich, wie aktuell Brechts Stücke immer noch sind. Mag von der Form her Brechts Mutter Courage auch einige Zeit sehr verstaubt daher gekommen sein, so stellt Zangers Inszenierung zur Diskussion, ob eine veränderte politische und gesellschaftliche Situation nach einer einfacheren, glasklaren Vermittlung nicht geradezu wieder zu schreien scheint.

Monika Hess-Zanger ist eine Courage, die durchaus das Mütterliche ein Stück über ihr Streben nach Gewinnmaximierung stellt, auch wenn sie das durch betonte Schroffheit zu überspielen sucht. Ihre Kinder sind allesamt Geschöpfe und Opfer des langen Krieges zugleich. Florian Bender ist der bedenkenlos, ja unbekümmert fouragierende Eilif, Johannes Langner stoisch-naiv der Schweizerkaas und Rosana Cleve die um ihr Leben betrogene Kattrin. Alle drei spiegeln das Wesen des Krieges sehr authentisch.

Heiko Grosche, Ivana Langmajer und Jürgen Lorenzen geben dem übrigen Kriegswesen Gestalt und Gesicht. Langmajer als geschäftstüchtige Hure Yvette, Grosche als Feldgeistlicher, der seinen Glauben wie die Fahne nach dem Wind wechselt und Lorenzen als absolut flexibler Regimentskoch. Das gelingt sehr flexibel. Nur wäre Lorenzen vermutlich nicht besonders böse gewesen, wenn ihm das Singen erspart geblieben wäre.

Da aber musste er durch. Denn der Musik kommt in Mutter Courage und ihre Kinder eine erhebliche Bedeutung zu. Reflektierend und vertiefend zugleich geben die Songs den Szenen zusätzlich Gewicht und Bedeutung. Regisseur Zanger unterstreicht diese Bedeutung dadurch, dass er die Musiker auf‘s Dach der Bühnenkonstruktion setzt, sie den Schauspielern quasi auf den Köpfen herumtanzen lässt, sie zugleich in kleinen Sprechrollen ins Geschehen einbindet.

Manfred Sasse hat eine Einrichtung von Paul Dessaus Melodien für drei Musiker geschaffen, die farbenreich und pointiert jedem Song einen ganz eigenen Charakter gibt. Dabei schafft Sasse am präparierten Klavier den Bar-Piano geprägten Grundton, Wolfgang Ekholt am Schlagzeug den martialischen Sound des Krieges. Pavel Tseliapniou setzt als Flöten- und Melodica(!)-Virtuose Akzente.

Meinhard Zanger öffnet mit einer Inszenierung der Mutter Courage, die ohne Überraschung daher kommt, gerade deshalb den Blick auf‘s Wesentliche des Stückes. Dafür wird er vom Publikum gefeiert.