Coriolan im Schauspielhaus Düsseldorf

Machthungriger Populismus

Coriolan gehört zu den selten gespielten Werken Shakespeares. Tilmann Köhler brachte es im Düsseldorfer Schauspielhaus auf die Bühne, wobei ihm an einer zeitgemäßen Umsetzung des Stoffes lag. Beleuchtet das Stück - vor ca. 400 Jahren geschrieben -, doch die Anfänge der Römischen Republik, die damals schon 2000 Jahre zurücklagen, und hierbei die komplizierten Verhältnisse zwischen einem aufstrebenden politischen Führer, der dem Volk gern seine demokratischen Rechte verweigern möchte, und einem Volk, das sich von machthungrigen Populisten seine Interessen vorgaukeln lässt. Vergleiche zu aktuellen politischen Gegebenheiten bieten sich an.

Coriolan - André Kaczmarczyk spielt ihn überzeugend als einen einerseits in Schlachten erfolgreichen Kriegshelden, der aber durchaus politische Ambitionen hat und Konsul werden will, nicht zuletzt angespornt von seiner ehrgeizigen Mutter (Markus Danzeisen). Es fehlt ihm jedoch ein echter Bezug zum Volk, das er notgedrungen mit süßen Worten, Süßigkeiten und Ronald MacDonald-Fähnchen umgarnt („Dann prostituiere ich mich jetzt wie eine Hure.“), das er aber in Wirklichkeit verachtet (so spricht er herablassend von der „Pöbelweisheit“). Regisseur Köhler: „Coriolan opfert sich zwar als Kämpfer für das Allgemeinwohl, er hat aber keine innere Verbindung zu diesem Allgemeinwohl, für das er kämpft.“ Unterstützt wird er von seinem Freund, dem Senator Menenius Agrippa (Rainer Philippi). Sicinius Velutus (Florian Lange) und Junius Brutus (Sebastian Tessenow) glänzen als „Duo infernale“. Sie spielen die schmierigen, intriganten Volkstribune, die als überzeugte Feinde Coriolans beständig das Volk vor ihm warnen, ja sogar behaupten, als Konsul würde er die Demokratie sicher abschaffen. Sie nennen ihn Volksfeind und Verräter und wollen ihn töten. Das Volk selbst spielt an diesem Abend immer wieder eine heimliche Hauptrolle. Es rebelliert offen und will nicht mehr hungern, während die satte Oberschicht über volle Kornspeicher verfügt. Köhler lässt sein rein männliches Ensemble geschickt agieren. Die einzelnen Darsteller verlassen immer wieder ihre eigene Rolle und sind Teil der fast ständig in Bewegung marschierenden, jubelnden oder Haßparolen skandierenden Masse. Dank einer hervorragenden Choreographie in diesen Szenen treten sie immer als eine Einheit auf - schleichend, trampelnd, grölend wie Fußballfans. Die Proletarier Roms erscheinen - wie alle Akteure dieses Abends - in sehr bunten Clownskostümen mit roten Nasen und fratzenhaft geschminkten Gesichtern. „Clown“, vom Lateinischen her „Landbewohner“ bedeutend, ist also eine klug gewählte Maske, da schon das Wort allein auf den Riss zwischen Stadt und Land, Patriziern und Plebejern hinweist. Die feindlichen Volsker, die Coriolan besiegte, tragen blaue Nasen. Eine simple, aber auch klare Art der Kennzeichnung der unterschiedlichen Gruppen. Jonas Friedrich Leonhardi spielt ihren Anführer Tullus Aufidius, Coriolans Erzgegner, der diesen jedoch aufnimmt, nachdem er vom Volk aus Rom verbannt wurde. Gemeinsam wollen sie Rom vernichten.

Die „Gesellschaft der Clowns“, in der unter anderem bunte Luftballons und grellfarbige Bänder zu den Requisiten gehören, agiert in einer beigen Guckkastenbühne, deren Wände holzvertäfelt sind. In der Mitte ist ein großes Loch im Boden, in dem die Akteure verschwinden oder aus dem heraus sie auftreten bzw. aus dem sie auch ihre Requisiten hervorzaubern können. Das neunköpfige Ensemble (zu nennen wären noch Glenn Goltz, Thomas Kitsche; Jarla Schwehn/Emilia Sievers als Coriolans Kind) agiert äußerst spielfreudig, so dass auch die gut drei Stunden spannend anzusehen sind. Im wesentlich längeren Teil des Abends vor der Pause dominieren lebhafte Aktionen, nach der Pause wird es besinnlicher und ruhiger. Coriolan lässt sich von seiner Mutter überreden, die Zerstörung Roms aufzugeben und stattdessen Frieden zu stiften.

Eindrucksvoll das Bild, wenn am Ende nur sein Sohn (gespielt von einem Mädchen) auf der Bühne steht und das letzte Wort hat: „Mit Verachtung kehre ich der Stadt den Rücken. Es gibt auch anderswo eine Welt.“

Ein beeindruckender, absolut sehenswerter Abend.