Kasimir und Karoline im Theater Münster

Ein Totentanz

Kasimir ist arbeitslos geworden. Seine Karoline aber möchte zum Volksfest, will Spaß, Achterbahn fahren und Eis essen. Das kann Kasimir nicht nachvollziehen: Denkt Karoline denn kein bisschen an seine Situation? Und so trennt man sich und trifft sich trotzdem wieder auf dem Oktoberfest.

Kalt und völlig unbarmherzig agieren sie, die Figuren, die Ödön von Horváth in Kasimir und Karoline entwirft. Kalt gemacht von einer auf völligen Materialismus reduzierten Gesellschaft, die alle fratzenhaft und entstellt daher kommen lässt. Für Schauspieldirektor Frank Behnke ist das Oktoberfest ein Totentanz. Und genau so sieht das Festgelände aus, das Martin Miotk auf die Bühne stellt: eine trostlose Fläche von auseinandergenommenen Pappkartons - öde, aber passend, um überflüssig gewordenes Menschenmaterial zu entsorgen.

Hässlich wie die Fratzen der Oktoberfestgäste sind die Dialoge Horváths gerade im Enthüllen völliger Unmenschlichkeit, lassen schaudern, wenn man bedenkt, wie kurz nach der Entstehung von Kasimir und Karoline der Faschismus gesellschaftliche Realität wurde. Noch mehr schaudern lassen sie, denkt man an den heute aktuellen Rechtspopulismus mit seiner menschenverachtenden Sprache und völliger Dialogunfähigheit. Doch dann schimmert immer wieder die Sehnsucht nach Liebe durch, der Wille danach, durch sie „besser“ zu sein. Das unterscheidet Horváths Figuren von bloßen Bestien. Und Frank Behnke zeigt auch diese Seite in seiner Inszenierung und befreit so seine Zuschauer*innen vom Verharren in bloßem Grauen, gibt ihnen Momente der Hoffnung. Und die kann man wirklich gut gebrauchen bei Behnkes ansonsten trist-wahrhaftigem Horror-Volksfest, das schonungslos offen in öd-gemeine menschliche Seelen blicken lässt.

Weniger der Einsatz eines Chores, der unter Behnkes Ägide schon häufig zum Einsatz kam, lässt hier aufmerken. Dem Chor kommt eine wirkliche Bedeutung für die Inszenierung nicht zu. Er wirkt fast fremd - bestimmen doch eher Individuen das Geschehen.

Überzeugender ist da Behnkes feine Figurenzeichnung. In perfekter Zusammenarbeit mit seinen Darstellern gelingt es ihm, die „Seele“ des Horváthschen Stücks freizulegen und zu entblättern. Das ist vor allem Sandra Bezler zu verdanken. Ihre Karoline ist so brutal, so offen, riskiert den Bruch ihrer Liebesbeziehung wegen eines Ritts im Hippodrom. Zugleich ist sie so verlangend nach Liebe, offen und gierig auf das Leben und die Zukunft. Bezler ist ambivalent wie die Zeit, die Gesellschaft. Das gilt ähnlich für Paul Maximilian Schulze als Kasimir. Er hat seinen Job verloren, befindet sich auf der Verliererstraße. Schulze schwankt gekonnt zwischen Aufbegehren und Resignation. Und fügt sich letztendlich. Er „schickt sich halt drein“. Dabei wird er getröstet von Erna. Sie ist die Freundin des Kleinkriminellen Merkl Franz. Und sie kennt die Folgen des gesellschaftlichen Abstiegs gut. Wird sie doch stets erniedrigt von ihrem Geliebten. Ulrike Knobloch gibt Erna fast die Züge eines tieftraurigen, tröstenden Engels.

Zur Seite steht diesen drei Darstellern ein bemerkenswertes Ensemble. Ronny Miersch als federnd alerter Merkl Franz, Jonas Riemer als devot-notgeiler Zuschneider Schürzinger und Isabelle Reißberg und Regine Andratscke als vergnügungssüchtige Oktoberfestbesucherinnen.

Wilhelm Schlotterer glänzt als Kommerzienrat Rauch. Er ist so fies, so geil - fast kommt er daher wie eine Version des griechischen Gottes Pan. Als allzeit bereiter Freund aus Norddeutschland steht ihm Gerhard Mohr zur Seite.

Frank Behnke gelingt eine in sich stimmige Interpretation von Ödön von Horvaths Stück. Die bietet nichts aufregend Neues, breitet aber sehr sorgfältig die frappierende Aktualität von Kasimir und Karoline aus, die schlicht erschreckend ist.