Problematischer „Sommerabend“
Oliver Durek, Chef des Kölner „Theater am Dom“ hat eine feine Nase für publikumswirksame Boulevardstücke, für Besucher, die ihren Spaß haben möchten, gerne aber auch ein wenig belehrt werden wollen; der große Erfolg des Theaters spricht für sich. Bei der neuen Produktion Sommerabend des Österreichers Gabriel Barylli, eines hochdekorierten Theatermanns, der in seinen Stücken auch immer selbst Regie führt, hat diese ihn etwas getrogen, denn statt eines lustigen Theaterabends erlebt man ein zwischenmenschliches Drama, eine Tragikomödie mit überwiegend Tragik, eher geeignet für ein seriöses Schauspielhaus. Den Plot hat Barylli ein wenig seiner Kollegin Yasmina Reza (Gott des Gemetzels) abgeschaut und gibt das auch offen zu; denn hier treffen sich zwei gut situierte Ehepaare im gemütlichen Garten (nette Bühne: Johannes Fischer) zu schwülstiger Oldie-Musik unter Lampions und Sonnenschirm zum Gespräch, aber anstatt wie bei Reza über die Folgen einer Schlägerei unter beider Söhne zu diskutieren möchte man sich hier bei einem Fläschchen Schampus endlich kennen lernen, da beider Kinder zu heiraten gedenken.
Das Problem: aus dem einen Fläschchen werden mehrere, zumal Madelaine als Alkoholikerin immer wieder an ihrem Flachmann nippt. Die zunehmende Enthemmung der Figuren lässt deren Probleme mit sich selbst und ihren Mitmenschen immer stärker heraustreten in lautstarkem Wortschwall und heftigen Ausdrücken. Die wortgewandte, arrogante Madelaine (Anouschka Renzi) betrügt ihren Mann Richard (Martin Armknecht) nach Strich und Faden, schwärmt von ihrer letzten Brust-OP und checkt laufend den Sitz ihrer Möpse. Richard ist ein weltfremder, wenig erfolgreicher und geschwätziger Schriftsteller - „im Universum hat jede Tat ein Echo“ -, der sich mit leichter Poesie beschäftigt, aber ängstlich auf die Auflage seines letzten Buches „Das Grauen“ schielt. Welches Anna, die wenig selbstbewusste Frau von Wilhelm (Timothy Peach), zwar auf dem Nachttisch hat, aber nicht lesen will. Sie war selbst als Ärztin tätig, leidet aber nicht nur unter ihrem Hausfrauendasein, sondern auch am sexuellen Desinteresse von Wilhelm mit seiner angeblichen Gummi-Allergie, der daher ein uneheliches Kind hat, aber dennoch nur anderen Frauen zugetan ist. Und schwätzt über eine Gebärmutter-Entfernung, die sie aber nicht zugeben will, und lehnt die von Wilhelm gewünschte Brustvergrößerung rigoros ab. Der wiederum lästert übel über den Dalai Lama („Glatzkopf mit rotem Fräckchen“), prahlt mit seinem monetären Verdienst als Herzchirurg und seiner ach so riesigen medizinischen Verantwortung.
Hatte Sommerabend bisher Drive und Spannung, vor allem durch die exzellenten routinierten Schauspieler - obwohl die Dialoge überwiegend stationär und im Sitzen erfolgten – übertreibt der Autor jetzt schon arg. Die gegenseitigen Beschuldigungen eskalieren, so wie das Donnern des nahen Gewitters, zu einem peinlichen Bloßstellen des jeweiligen Partners, die Masken fallen, zusammen mit einem vollen Glas Schampus in das Gesicht des jeweiligen Partners. Bis hin zu einer erotischen Exkursion über kreuz in die Nebenräume Schuppen bzw. Keller, zurück mit wie üblich offen gelassener Hose bzw. Bluse. Stellenweise schon etwas peinlich. So auch der Auftritt der beiden jungen Leute Maria und Martin (Laura-Anthea Heyner und Tobias Schwieger, frisch von einer Kölner Theaterschule), die sich irgendwie auf die Bühne schleichen und eine ganze Zeit fast unbeweglich auf einer Gartenbank warten, bis sie endlich „dran“ sind, während sich die Eltern fast die Köpfe einschlagen. Um dann diese altklug und oberlehrerhaft zu belehren, was sie in ihrer Ehe alles falsch machen und gemacht haben, und sich für deren schlechtes Beispiel zu bedanken, denn sie würden jetzt auswandern und ein anderes Leben führen. Und zwar umgehend. Sprachen´s, Küsschen für alle zum Abschied, und ab ins Backstage. Passt alles irgendwie nicht recht zusammen. Aber immerhin motivieren sie die Eltern, einen Neuanfang zu probieren.
Barylli hat nach eigener Auskunft das Stück in nur fünf Tagen geschrieben; leider merkt man das auch ein wenig, obwohl es bereits in einem anderen Theater warmgelaufen sein sollte. Beim dramatischen Ablauf ist noch Luft nach oben, sowohl bei den langen Dialogen im ersten Teil, die ohne nennenswerte körperliche Aktionen laufen, wie auch beim finalen Showdown. Herausgerissen haben es die beiden Elternpaare mit blendendem Spiel und kleinen szenischen und sprachlichen Gags, wovon die Zuschauer allerdings etwas mehr erwartet haben dürften. Freundlicher Applaus.