Europäische Episoden
„Der Erkenntniswert geht über allseits Bekanntes und vielfach Diskutiertes nicht hinaus“, so resümiert unsere Autorin Christa Fluck die Aufführung von Konstantin Küsperts Der Westen bei den Mülheimer Stücken am 24. Mai. Das wäre eigentlich ein schöner Schlusssatz auch über Tanja Weidners Inszenierung von Europa verteidigen besagten Autors im münsterschen Wolfgang-Borchert-Theater. Aber man klaut ja keine Sätze von Kolleginnen…
Küsperts Text Europa verteidigen ist eine Collage aus historischen Sequenzen aus der europäischen Geschichte gemischt mit fiktiven Statements eines Rechtspopulisten, der „überassimilierten“ türkischstämmigen Aischa, des 96-jährigen Försters, dessen Kinder die ersten sind, die ein Leben ohne Krieg geführt haben und des Gutmenschen Konstantin (wie sinnig). Wir erleben, wie Scipio vor den Afrikanern (i.e. Karthago) warnt, wie Walther von der Vogelweide Kreuzzüge verherrlicht. Eine österreichische Frontex-Patrouille sprengt Flüchtlingsboote und ein SS-Offizier erläutert das Recht des Stärkeren anhand des Teppichs von Bayeux. Zusammengehalten werden Episoden und monologische Texte von der Europasage, die von der Entführung der kleinasiatischen Prinzessin Europa durch den Gott Zeus in Gestalt eines Stieres berichtet. Diese wird häppchenweise immer weiter gesponnen. All‘ das kennt man zur Genüge. Küspert wärmt oft formulierte Argumentationsketten und Gedankengänge auf und arrangiert sie gefällig und sprachlich gekonnt. Mehr nicht - und im Verlauf eines kurzen Theaterabends dann doch zunehmend unbefriedigend.
Dabei hat Regisseurin Tanja Weidner ihr Möglichstes getan um viel Vergnügen und ein wenig Nachdenklichliches aus Küsperts Text zu destillieren. Das Pfund, mit dem sie und ihr Ensemble wuchern können, ist die Musik, die alle wunderbar gekonnt zur Intensivierung der Szenen und zur Gestaltung der Übergänge einsetzen. Dadurch gibt Weidner Küsperts eher banalem Stück den Charakter einer Revue. Und das wertet Europa verteidigen erheblich auf. Weidner verscheucht so jedwede Anmutung von Erdenschwere und Tiefsinnigkeit. Durch ihre bunten, verspielten Kostüme unterstützt Isabel Nagel diesen Ansatz: Herrlich der Elefant des Karthagers Hannibal mit einem Rüssel aus sich größenmäßig verjüngenden Plastik-Blumentöpfen
Mit Feuereifer greifen die Akteure das verspielte Konzept auf. Alle switchen bemerkenswert flexibel in ganz viele Rollen. So rappt Johannes Langer Walther von der Vogelweides Hass-Gedicht auf Moslems und Juden in Mittelhochdeutsch - Chapeau, das ist nicht ohne. Florian Bender prononciert Ausländerfeindlichkeit aufs Tiefste - als römischer Feldherr Scipio. Ivana Langmajer berührt als deutscher Soldat, der sich der Invasion der Alliierten entgegenstellt, während Jürgen Lorenzen besonders hervorsticht als römischer Legionär, der kurz vor seiner Entlassung von Hannibals Elefanten niedergemäht wird. Rosana Cleve ist eine Prinzessin Europa, die mal entzückt ist von ihrer Entführung, mal ganz niedergeschlagen. Europa, wie es sich darstellt. Vor allem als miteinander agierendes Ensemble sind sie unschlagbar.
Dieser Abend am Hafen macht dann Sinn, wenn wir uns etwas „Nettes“ gönnen wollen. Ich empfehle ein schönes Abendessen, dann den Besuch von Europa verteidigen. Die Inszenierung bietet Gesprächsstoff für den Wein danach am Hafen und kann hübscher Bestandteil eines vergnüglichen Abends sein.