Übrigens …

Hamlet im Bochum, Schauspielhaus

Das Leben oder der Tod – das ist die Frage.

Hamlets Vater, der König von Dänemark, ist auf mysteriöse Weise verstorben. Noch sind die Blumen auf seinem Grab nicht verwelkt, da heiratet seine Witwe, Königin Gertrud, dessen Bruder Claudius, der sich zum neuen Herrscher erklärt. Der tote König sucht seinen Sohn als Geist heim, verrät ihm, dass er von Claudius vergiftet worden sei, und ruft ihn auf, seiner zu gedenken und ihn zu rächen. Hamlet muss von nun an mit dem Auftrag seines Vaters leben und beschließt, auf eigene Faust zu recherchieren. Die Wahrheitssuche gestaltet sich schwierig. Handelte Claudius allein oder gab es Mittäter für diesen Staatsstreich? Welche Rolle spielte der Staatsrat Polonius, ein enger Vertrauter des neuen Königs? Er versucht, Hamlets Zustand auf den Grund zu gehen, und setzt dazu seine Tochter Ophelia ein. Sind Hamlets Studienfreunde Rosencrantz und Güldenstern so harmlos, wie sie scheinen?
Hamlet konfrontiert seinen Onkel in einer wahnwitzigen Theatervorstellung mit seiner Schuld. Dieser gesteht daraufhin die Tat ein, allerdings nicht vor Zeugen. Gertrud stellt ihren Sohn zur Rede. Polonius belauscht das Gespräch und wird von einem rasenden Hamlet irrtümlich getötet. Nun soll dieser nach England geschickt werden, wo er umgebracht werden soll. Er durchschaut den Plan, überlebt und kehrt nach Dänemark zurück.

Johan Simons, Intendant des Bochumer Schauspielhauses, inszenierte Hamlet mit Sandra Hüller in der Hauptrolle. Eine kluge Wahl. Hat man doch selten einen berührenderen Hamlet gesehen. Im Vorfeld äußerte sich die Schauspielerin über ihre Schwierigkeiten mit der Rolle. Er (Hamlet) sei „ein nasser Fisch, der einem ständig aus der Hand rutscht“, sagte sie in einem Interview. Sie sieht in dem Dänenprinzen nicht den Rächenden: „Er will einfach, dass alle sich ins Gesicht schauen, die Wahrheit anerkennen, die eigenen Fehler zugeben.“ Schwierig, wenn nicht unmöglich an diesem Hof, wo Manipulieren, Lügen und Täuschen Tradition haben. Sandra Hüllers Hamlet steht häufig allein auf der Bühne, isoliert, unsicher. Sie beobachtet, was sich an Intrigen und Handlungen vor ihren Augen abspielt. Zu Beginn spricht der Geist ihres Vaters nicht zu ihr, sondern aus ihr. Wir erfahren, wie er wirklich zu Tode kam. Ophelia (Gina Haller) nimmt so sehr Anteil an Hamlets Verunsicherung, dass sie sich gleichsam mit ihm in Kummer windet.
Das Ensemble tritt immer wieder von der ersten Reihe im Zuschauerraum aus auf und nimmt dann auch dort wieder Platz, das Geschehen auf der Bühne verfolgend. Es ist bis in die Nebenrollen hin hervorragend besetzt.
Stefan Hunstein überzeugt als Claudius (in weißem Pelzmantel). Einerseits als von sich überzeugter Herrscher: „Der Wahnsinn am Hof muss unter Aufsicht stehen.“ Dann wieder windet er sich im Gebet vor Gewissensbissen. Ihm ebenbürtig Mercy Dorcas Otieno als Gertrud. Bernd Rademacher spielt Polonius, den Mann der klugen Worte und des zuweilen recht komödiantischen Wortwitzes. Simons hat die Totengräber mit Ann Göbel (sie äußert fast immer nur lakonisch die Worte „Er ist allein“) und Jing Xiang besetzt. Letztere wechselt mühelos zwischen clowneskem Spiel und ernsten Worten, die sie mit Hamlet am Grab wechselt. Ferner spielen mit: Dominik Dos-Reis als Laertes, Sohn des Polonius, Konstatin Bühler als Rosencrantz, Ulvi Teke als Güldenstern und Mourade Zeguendi als Fortinbras.

Johannes Schütz entwarf das kongeniale Bühnenbild für diese eindrucksvolle Inszenierung: Ein weißes, offenes Rechteck, begrenzt von einem dunklen Rand, auf dem zahlreiche Stahlkugeln liegen. Schütz: „Die weiße Farbe hat etwas Unbelastetes. Sie führt zu einer Klarheit der gesprochenen Sprache.“ Eine rostbraune Metallwand und eine große Lichtkugel schweben über der Spielfläche und halten sich im Gleichgewicht. Nach Schütz stiftet „die Beweglichkeit der beiden schwebenden Objekte eine Einladung, Bezüge zu konstruieren.“ Requisiten fehlen an diesem Abend ganz. So erhält das gesprochene Wort noch mehr Gewicht.

Ein Ausnahmeabend, der zu Recht überaus viel Applaus erhielt. Eine kluge Inszenierung mit einem herausragenden Ensemble - ein Theatergenuss.