Zärtlichkeit ist keine Ferienangelegenheit
Ingmar Bergmans Klassiker Szenen einer Ehe, ein Dialogroman, der äußerst realistisch und lebensnah die Geschichte der Liebe von Johan und Marianne mit all ihren zum Teil extremen Höhen und Tiefen erzählt, wurde vom Autor selbst in den 1970er Jahren in einer mehrteiligen Fernsehfassung verarbeitet, kurz darauf Basis für den berühmten Film mit Liv Ullmann. Beide Produktionen waren überaus erfolgreich. Bergmann betrachtet zehn Jahre einer Ehe, in denen zwei Menschen, scheinbar fest und innig in ihrer Beziehung verwurzelt, Schritt für Schritt erleben, wie die Grundlage ihres Zusammenseins zerbricht. Und wie sich aus Zerstörung und Selbstzerstörung Zärtlichkeit und Selbstbehauptung neu entwickeln können.
Schauspieldirektor Matthias Gehrt inszenierte Szenen einer Ehe jetzt am Krefelder Haus. Und zwar in einer eigenen Fassung, die die Geschichte in die Gegenwart holt. Es ist ein höchst intensiver Abend, dessen Sog man sich nicht entziehen kann. Ein Kammerspiel, das von der Thematik, die zumindest punktuell jedem bekannt vorkommt, der in eine längere Beziehung eingebunden ist bzw. war, und den zwei exzellenten Schauspielern lebt. Gabriele Trinczek schuf ein kongeniales Bühnenbild. Sehen wir doch eine weiße Guckkastenbühne, die dank verschiedener herausfahrbarer Fächer multifunktional ist. Requisiten, auch Möbelstücke wie Tisch und Bett, können hier schnell verschwinden bzw. hervorgezaubert werden. Die beiden Darsteller verlassen die Bühne nur in der Pause und sind ansonsten in ihrem Mikrokosmos gefangen. Kein Fenster existiert, nur dieser langgestreckte Kasten, in dem die Zuschauer das Geschehen hautnah verfolgen.
Ingmar Bergman schreibt im Vorwort der Buchfassung von Szenen einer Ehe: „Ich habe drei Monate gebraucht, um dieses Buch zu schreiben, aber es hat mich lange Zeit meines Lebens gekostet, es zu erfahren.“ Fünf Ehen und eine langjährige Beziehung mit der Schauspielerin Liv Ullmann sprechen für sich.
Der Abend beginnt mit einem Blick in den scheinbar gut geölten Alltag eines seit längerem verheirateten Paares. Aber schon der als Überschrift eingeblendete Titel „Die Kunst des Unter-den-Teppich-Kehrens“ zeigt, wie hohl dieses aus Gewohnheiten und Alltagsritualen bestehende Miteinander ist (Johan: „Man kann sich nicht immer nah sein.“). Klassische Musik ertönt zwischen den Szenen. Dann das Stichwort „Paula“. Johan konfrontiert Marianne mit der Tatsache, dass er sich in eine junge Studentin verliebt hat, mit der er weggehen will. Und dass er „froh“ ist, „trotz des schlechten Gewissens“. Keine Diskussion, er setzt sein Interesse brutal durch, ohne auf Marianne und die Kinder Rücksicht zu nehmen. Marianne ist wie vom Donner gerührt, gedemütigt, verzweifelt.
Im weiteren Verlauf des Abends erfahren wir, dass diese Trennung nicht das Ende der Beziehung von Johan und Marianne ist. Sie treffen noch mehrfach aufeinander. Er hat die neue Beziehung hinter sich gelassen, sie hat Schritt für Schritt zu sich gefunden und steht letztlich auf eigenen Füßen. Immer aber noch besteht eine starke Bindung, eine Anziehungskraft zwischen den beiden. Und immer wieder verletzen sie sich gegenseitig. So wie das nur geht, wenn man sich gut kennt.
Esther Keil und Bruno Winzen gelingt es hervorragend, auf der Klaviatur der Gefühle zu spielen. Glaubhaft die Achterbahn der Emotionen zu zeigen, die Ängste, die Wut, die Verzweiflung. Allein die Körpersprache zeigt viel. So klammert er sich in Embryohaltung an sie, als er nach der gescheiterten Beziehung mit Paula den Neuanfang in der Ehe sucht. Von leisen Zeichen der neuen Vertrauensbildung bis zur körperlich-brutalen Eskalation – alles wird ausgetragen.
Am Ende treffen die beiden – nach einigen Jahren- wieder zusammen. Entspannt und vorsichtig nähern sie sich im Gespräch. Die Videoprojektion eines Mangrovenwaldes unterstreicht die sachlich-ruhige, fast freundschaftliche Atmosphäre.
Ein exzellent inszenierter Abend, ein packendes Thema, fantastisches Schauspielertheater.