Rotzfreche Milieu-Studie
Bloß keine Anstrengung! Die Idealvorstellung der jungen Damen auf der Bühne ist es eigentlich, bei der nächsten Party eingeführt zu werden mit den Worten: „Das ist Steffi. Sie macht nichts.“ Aber nichts funktioniert halt leider nicht. Steffi, die selbstdritt auftritt und von Miriam Fussenegger, Saskia Klar und Lena Kalisch verkörpert wird, ist antriebslos, aber rotzfrech und überrascht immer wieder mit plötzlichen Schüben von Aktivität. Denn: „Egal, wieviel man schläft … man wird immer wieder müde, hungrig, traurig und geil.“ Da das nun mal so ist, stürzen sich die Steffis (respektive Steffi und ihre WG-Genossinnen) ab und an doch ins wilde Leben rund um Beisl, Bier und Sex. Versehentlich springt dabei auch schon mal ein Bachmannpreis heraus.
Denn bei Steffi handelt es sich um die Provokatöse vom Dienst in der jungen österreichischen Literatur-Szene: Stefanie Sargnagel gewann mit dem Text „Penne vom Kika“, der dem beim Asphalt Festival gezeigten Theaterabend Ja, eh! Beisl, Bier und Bachmannpreis zugrunde liegt, vor drei Jahren den Publikumspreis bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt. Jawohl: den legendären Ingeborg-Bachmann-Preis, und über den - egal ob als Publikumspreis oder von der renommierten Kritiker-Jury vergeben - geht nicht allzu viel drüber in der jungen deutschsprachigen Literaten-Szene. Den Wettbewerb als Siegerin zu beenden, ist allerdings Mist. Denn das zieht, wie Steffi jetzt merkt, jede Menge neuer Schreibaufträge nach sich. Und: „Lohnarbeit ist demütigend - immer und ausnahmslos.“ Leistungsverweigerung als Lebensinhalt - das klingt ein bisschen nach Künstler-Bohème; insofern ist Steffi mit dem Bier auf der Couch und dem Wiener Schmäh auf der Zunge auf dem richtigen Weg. Aber ein wenig Geld braucht man auch im schäbigsten Beisl. Wird Arbeit aber entlohnt, bedeutet sie automatisch Stress. Anstrengung - siehe oben. Was für ein elender Teufelskreis!
Sargnagels Text, rasant, frech, oftmals umwerfend komisch, wird manchmal auch zur Satire über ein Künstlerleben. Und zu einem Porträt einer jungen Generation - zumindest eines Teils davon. Hinter dem hochkomischen Kabarett, mit dem die munteren jungen Damen in ihrer temporeichen 70minütigen Performance unterhalten, steckt auch eine Menge Melancholie und Verlorenheit: „Eigentlich mag ich meine Internet-Freunde mehr als meine alten. Ich muss ihnen nicht zuhören. Und ich muss mich nicht waschen, wenn ich sie treffe.“ Wir lachen uns scheckig, aber Stefanie Sargnagel trifft mit solchen Pointen voll auf die Zwölf: Gnadenlos spießt sie die drohende Verwahrlosung der Kommunikation durch allzu ausgeprägte Internet-Affinität und Handy-Sucht auf. Da ist der Besuch im Beisl schon hilfreicher, wo man auch einmal liebeskranke Gefährtinnen mit provokanten oder subversiven Sprüchen trösten kann. Freundin Mercedes, eine Operetten-Diva, die vielleicht noch nie in der Öffentlichkeit gesungen hat, angeblich eine rassige Latina-Schönheit, tatsächlich aber eine lätscherte Heulsuse in nachlässigem Schlabber-Schmuddel, liefert einen saftigen Sprech-Porno ab, wenn sie erzählt, mit welch sensationellem Geschick sie ihren Lover befriedigt und sich selbst aufgegeilt hat - und dann schmeißt der Kerl sie einfach raus! Wir verstehen das, denn so schrill, wie die Operetten-Soubrette ihre schmerzerfüllten Heul-Tiraden tiriliert, hätten wir sie ebenfalls so schnell wie möglich von der Bettkante geschubst. Da wir aber nicht auf der Bettkante, sondern auf den kaum komfortableren Stühlen im Flinger Weltkunstzimmer sitzen, bleiben wir noch ein wenig und freuen uns über Sprüche voller Selbsterkenntnis: „Ich bin die übergewichtige, depressive Version deiner Traumfrau.“
Dabei ist Saskia Klar gar nicht dick, aber die Ladies sind sämtlich in scheußliche Pullover gehüllt. Christina Tscharyiskis Inszenierung muss ein Fest für die Kostümbildnerin Cátia Palminha gewesen sein, die hemmungslos alle Schleusen des schlechten Geschmacks öffnen durfte. Auch Bühnenbildnerin Sarah Sassen feierte eine Party: Die roh zusammengehauene hölzerne Bühnenwand, die sowohl das Beisl als auch das traute Heim der Akteurinnen darstellt, ist nicht nur von ausgesuchter Hässlichkeit. Unerschöpflich ist das Reservoir an Ideen, was man in den gefühlt fünfzig kleinen und großen Schubladen und Fächern dieser Wand alles verstecken kann. Vielleicht sind es wirklich, wie eine Zuschauerin meinte, die Schubladen des Lebens, das ja ebenso voller Überraschungen steckt. Da lugen Blümchen heraus, da finden sich Kerzen, Schauspielerinnen, aber auch Tische und Podeste klappen aus der variablen Konstruktion wie selbstverständlich heraus. Nur machen die schönsten Topfblumen noch keinen fröhlichen Mädchensommer, und die Ausblicke in die Zukunft sind auch nicht vielversprechend: Wenn man erstmal über 30 ist, wird der eigene Freundeskreis nur „fahler, fetter und glanzloser“, haben die Damen zutreffend diagnostiziert.
Natürlich ist das Ganze auch Milieu-Studie, konsequent in weanerischem Dialekt gespielt. Das Künstler-Milieu ist, da die Leistungsverweigerung auch eine prekäre finanzielle Situation nach sich zieht, auch Kleinbürger-Milieu. Das hat manchen Literatur- und Theaterkritiker dazu verleitet, Stefanie Sargnagels Texte mit denen von Ödön von Horváth oder, wenn man’s etwas kleiner mag, mit Werner Schwab zu vergleichen. Zumindest was den Hang zu gelegentlichen weanerischen Fäkal-Szenen angeht, mag die Assoziation zu Schwab naheliegen, aber lassen wir solche Vergleiche lieber stecken: Für Horváth ist der Abend zu grob gestrickt, und im Vergleich zu Schwab ist er zu nah am Kabarett. Ob Sargnagel selbst dereinst eine große Literatin wird, ist noch nicht entschieden: Manchmal wiederholt sie eine tolle Formulierung so lange, bis diese an Originalität verliert – das ist dann schade. Die Autorin selbst spricht in einem Interview mit der Wiener „Presse“ von ihrer Prägung durch Christine Nöstlinger (!) und deren realistische Kinderliteratur: „Mir gefiel, dass es nie um Elfen oder Pferde ging, sondern um fette oder picklige Kinder und die Grausamkeiten, denen sie ausgesetzt waren.“ Die Kinder sind halt jetzt in ihren 20ern, und den Grausamkeiten setzen sie sich selbst aus.
Christina Tscharyiskis Inszenierung spielt bewusst mit der Varieté-Ästhetik: Immer wieder wird der Abend um österreichisches Liedgut ergänzt. Mit dem Interpreten ist dem Regie-Team ein echter Coup gelungen: Live on stage ist der Shooting Star der Austropop-Szene Voodoo Jürgens mit seiner Band. Voodoo ist ein echter Strizzi, eine lange dünne Gräte mit schlechtsitzendem halblangem Jackett und Hut, und er röhrt austriakische Unterschicht-Folklore, von der in Hannöverschem oder rheinländischem Deutsch aufgezogene Piefkes kein einziges Wort verstehen - aber der Junge ist hinreißend.
Steffi selbst war gar nicht da an diesem großartigen Eröffnungsabend des Asphalt-Festivals. Vielleicht lag sie aufm Sofa, vielleicht war sie auch im Beisl versackt oder sie musste einer demütigenden Lohnarbeit als Auftragsschreiberin nachgehen. Wahrscheinlicher ist, dass sie wirklich im Stress war, denn Stefanie Sargnagel ist much gehypt in diesen Tagen. Dass ihr der Erfolg - Verzeihung, aber die Sprache des Abends ist halt etwas dreckig - am Arsch vorbeigeht, mögen wir nicht glauben: Schon wenige Minuten nach dem Schlussapplaus hatte sie den Festival-Leiter Christof Seeger-Zurmühlen angerufen und sich nach der Resonanz des Abends erkundigt. Ja, eh! Eine der Akteurinnen hatte den doch schon korrekt zusammengefasst: „Rollschuhlaufen, Liebeskummer besänftigen, Totschlag - kein fader Tag!“ Es gab Standing Ovations, und das Bier im Festival-Beisl, das hier Asphaltparadies heißt, schmeckte danach mega geil.