Romeo und Julia im Globe Theatre Neuss

Pater Lorenzo im Zentrum des Geschehens

Das freie Theater POETENPACK aus Potsdam ist mit Romeo und Julia zu Gast beim Shakespeare-Festival im GLOBE in Neuss.

Erst vor vier Tagen feierte die Truppe mit dem Stück Premiere in Potsdam im HECKENTHEATER, einer Open-Air-Bühne, auf der sowohl die von Friedrich dem Großen angelegte Parklandschaft als auch das Wetter als Kulisse mitspielen.Ganz anders die Situation im schwarz-gewandeten Achteck des GLOBE in Neuss. Auf der kargen Bühne führen zwei Treppen pyramidenartig zum ersten Rang, rechts und links stehen riesige Instrumente: eine Trommel und ein Gong.

Noch während das Publikum im Parkett und auf den Rängen Platz nimmt, erscheint auf der Bühne stattlich, würdevoll Bruder Lorenzo (Reiner Gabriel) in schwarzer Soutane mit dreiunddreißig rubinroten Knöpfen, einem Kleidungsstück, das nicht einem Franziskaner Mönch (wie es bei Shakespeare vorgesehen ist) sondern nur einem päpstlichen Prälaten oder Bischof zusteht. Damit ist angezeigt: der Lorenzo dieser Inszenierung (Regie: Andreas Hueck) spielt die Rolle eines Würdenträgers und in der Tat hat Hueck ihm alle Fürstenworte in die Rolle geschrieben. Escalus, der Prinz von Verona, ist demzufolge ganz gestrichen, wie auch viele andere Rollen, erstaunlicher Weise sogar die Rolle des Grafen Montague, Romeos Vater und Oberhaupt des Hauses Montague. Sein Widersacher, Graf Capulet (André Kudella), Julias Vater und Oberhaupt der verfeindeten Familie Capulet, spielt dagegen eine wichtige, jedoch recht verzerrte Rolle. Während Shakespeare seine Figuren mit standesgemäßem Sprachduktus ausstattet, das heißt der Dienerschaft die Alltagsprosa zuschreibt, lässt Hueck Vater Capulet seine Tochter Julia mit wenig feinen Schimpfkanonaden überschütten: „Du flennst!“ brüllt er und nennt sie dumme Gans, Schmarotzerin, kleine Hure und Flittchen. Die Amme fährt er an: „Frau Oberschlau halts Maul, Idiotin…“. Das mag gewollt frivol und vulgär sein, doch die Figuren, zu denen der Ton passen würde, die streitenden Bediensteten (bei Shakespeare die Eingangsszene), sind komplett gestrichen. Das spart Personal, konzentriert das Geschehen auf das Wesentliche, schafft andererseits aber auch Umdeutungen, die nicht immer überzeugen. Vielleicht tut es dem Ganzen nicht durchweg gut, dass der Text aus 29 (!) vorgefundenen Übersetzungs-Varianten zusammengesetzt wurde, wie Andreas Hueck, der auch Intendant der Theatertruppe ist, uns bei der Einführung verriet.

Insgesamt jedoch erleben wir mehr als zwei Stunden typisches Shakespeare-Theater: da gibt’s Grund zu lachen und zu weinen dicht beieinander. Stimmungsvoll der Auftakt der Aufführung mit einem Saxophon-Solo (Musik: Arne Assmann), das übergeht in den bedächtigen Prolog des Lorenzo, der auf die Ambivalenz des Lebens und des Dargebotenen verweist und mit den weisen Worten endet: „Im Menschen leben beide Kräfte“.

Dann füllt sich die Bühne: die Capulets erscheinen in schwarzem, die Montagues in weißem Outfit. (Das hilft zur Orientierung.) Nur die Amme der Julia – den Capulets zuzuordnen – trägt ein üppiges weißes Kleid mit einer schwarz-weiß-karierten Schürze darüber. (Wunderbar gegeben von Gislén Engelmann, die immer wieder in die Rolle der Lady Montague wechseln muss.) Es folgen eine unterhaltsame Pantomime und ein Zeitlupen-Tanz, der in Streit übergeht und dem allgegenwärtigen Lorenzo geschlichtet wird.

Bevor die Tragödie ihren Lauf nimmt, wähnen wir uns in einer Komödie oder gar Groteske. Mit Clownsmasken toben alle zu Live-Klängen umeinander und Mercutio (Andreas Klopp) übernimmt die Rolle des Proleten, „kotzt“ ins Publikum, schmeißt seine besudelte Maske hinterher und vollführt akrobatische Sprünge. Dabei werfen auch alle anderen mit obszönen Worten und Gesten nur so um sich. Wir sind auf dem Maskenball bei den Capulets und erst jetzt begegnen sich die Hauptpersonen: Julia kommt in hautengem, schulterfreiem schwarzen Lederdress und entsprechenden Beinkleidern die Treppe herab: das ist kein Mädchen von fast vierzehn Jahren, das ist eine junge Frau (als solche gegeben von Julia Borgmeier). Der Romeo des Florian Bamborschke wirkt hingegen eher wie ein großer Junge, ihm fehlt das Flair des hingerissenen Liebhabers.

Es folgen grandiose Kampfszenen, einstudiert von Stefan Lenz, die das Publikum mit Szenenapplaus belohnt. An deren Ende gibt’s – ganz werkgetreu – drei Leichen: Tybalt von den Capulets, Mercutio von den Montagues und Graf Paris, der von Felix Isenbügel als Witzfigur gegebene Freier, den Vater Capulet für Julia ausersehen hatte.

Als dann auch noch das Liebespaar tot auf der Bühne liegt, verweigert uns Andreas Hueck den im Stück vorgegebenen versöhnenden Handschlag der solange verfeindeten Familien: Sie stehen weit auseinander, die Lady Montague (ihr Mann fehlt ja in der Inszenierung) und der Graf Capulet. Ihre Hände haben keine Chance, sich zu berühren und es ist wiederum an Lorenzo (jetzt in der lilafarbenen Soutane eines Bischofs) die nicht eben hoffnungsvollen Prinzenworte zu übernehmen: „Nur düstern Frieden bringt uns dieser Morgen“. Dazu leuchten oben auf der Galerie sieben mehrarmige Kerzenleuchter und anrührend ertönt das Saxophon.

Mehr Pathos dürfte nicht sein.