Übrigens …

Maria Stuart im Bochum Theater Rottstraße 5

Und sie tanzt

Da steht die machtbewusste, mit harter Hand agierende Elisabeth einer jungen schönen Verwandten gegenüber, die an ihren Hof geflüchtet ist – und sie sperrt sie ein. Offiziell geschieht das aus Furcht davor, dass die Schotten-Queen Maria mögliche Ansprüche auf den englischen Thron geltend machen könnte. Um die beiden Protagonisten herum toben politische und religiöse Konflikte; Speichellecker und Intriganten weben verräterische Netze, und Helden, Wendehälse und Feiglinge lassen nicht nur Leser und Zuschauer von Schillers Tragödie, sondern auch die beiden Drama Queens ab und an die Orientierung verlieren. Aber immer wieder kehrt der Streit zwischen den Königinnen zum Kern des Menschlich-Allzumenschlichen zurück: Jung, schön und sinnesfroh trifft auf verhärmt, verbissen und asketisch. Manchmal ist Friedrich Schillers Maria Stuart die reinste Zickenalarm-Pathos-Tragödie. Aus der persönlichen Rivalität zwischen den beiden Damen bezieht die Geschichte ihre Bühnentauglichkeit, aus den politischen Kämpfen ihre intellektuelle Grundierung. Sollte man denken…

Es erscheint mutig, wenn Ariane Kareev in ihrer knapp 90minütigen, durch eine Reihe von Fremdtexten angereicherten Inszenierung am Rottstr 5 Theater in Bochum nahezu vollständig auf das politische Beiwerk verzichtet und den Plot ausschließlich als Duell der beiden Frauen anlegt. So etwas könnte schnell in den Boulevard kippen. Doch solche Bedenken sind schnell zerstreut. Wir erleben eine ungeheuer ernsthafte Aufführung mit einem klaren intellektuellen Konzept, wie man sie an einem Off-Theater selten zu sehen bekommt. Das Potential zum Zickenalarm verschweigt Kareev nicht, doch in einer Aufführung ohne Gags und Mätzchen konzentriert sie sich auf die Auseinandersetzung zwischen zwei starken Frauen mit diametral entgegengesetzten Charakteren. Da ist Elisabeth: kühl, rational, in hochgeschlossenem Kostüm, das trotz seiner Eleganz wie ein Panzer wirkt und von der „kalten Hoheit unfruchtbarer Frauen“ kündet. Und da ist Maria: feminin, gefühlsbetont, in rückenfreiem Oberteil und hautenger roter Hose geradezu erotisch daherkommend. Beiden gebührt Respekt; beide drücken mit ihrer Körperhaltung und ihrer Mimik Stolz und Machtbewusstsein aus. Doch anders als bei Elisabeth ist Marias Eleganz nicht die Eleganz der Kleider, sondern die des Körpers und der Bewegungen. In Ketten kauert sie im Kerker des Schlosses – und sie tanzt. Bei Greta Ipfelkofer ist dieser Tanz kein besinnungsloser Workout wie bei Johanna Eiworth vor knapp zwei Jahren am benachbarten großen Schauspielhaus, sondern er besteht aus schlangenartigen Bewegungen, irgendwo zwischen indischem Tempeltanz, Hypnose und Verführungskraft. Maria steckt voller Emotionen: Wenn sie den Brief formuliert, in dem sie Elisabeth um eine Unterredung bittet, kniet sie mit betenden Händen auf dem Boden. Solche Gesten sind Sina Ebells Elisabeth fremd. Sie wird allenfalls einmal laut vor Wut; meist aber ist sie kühl und kontrolliert. Angesichts von Marias Sinnlichkeit und Anziehungskraft (auch auf das eigene, das englische Volk) muss sie sich jedoch wieder und wieder ihrer Macht und Unabhängigkeit versichern. Als Begründung für ihre wahrhaft protestantische Strenge führt sie ihr Verantwortungsbewusstsein an: „Die Könige sind nur die Sklaven ihres Landes.“ Dumm nur: Das wirkt ein bisschen von oben herab – und im Vergleich zu Maria hartherzig.

Meist steht die eine der beiden Frauen im Spotlight, die andere im Dunkel. Elisabeth und Maria treffen sich nur ein einziges Mal (bei Kareev wohl ein zweites Mal: zur Hinrichtung). Auch ihr Fernduell ist heißblütig, aber formal gebändigt von Schillers Blankversen: Eine Königin fällt nicht aus der Rolle. Selbstkontrolle unterstreicht die Stärke und den Stolz der Frauen. Der einzige Mann dagegen ist schwach: Leon Rüttinger gibt (neben dem Diener oder Gefängniswärter Marias) den Mortimer, der in Maria verliebt ist und bei Elisabeth eher ungeschickt für sie intrigiert. Der Mann hat nicht ansatzweise das Charisma und das Stilempfinden der beiden Frauen. Erst wenn er seine Verachtung gegenüber Elisabeth äußert und ausspuckt, gewinnt er an Statur – aber selbstverständlich tut er das nicht im Beisein der Königin. Mit seiner Selbstkontrolle ist es auch nicht weit her: „Ich will dich retten, doch ich will dich auch besitzen“, ruft er Maria gegenüber aus und nagelt sie in einem aggressiven sexuellen Übergriff an die Wand. Kaum wird dem schwachen Mann ein wenig Macht gegeben, schwingt er sich zum #MeToo-Täter auf. Das ist erbärmlich, doch für Maria bedrohlich.

Leon Rüttinger hat noch eine weitere Rolle: Gemeinsam mit Ipfelkofer und Ebell gibt er den dreiköpfigen, unter Kapuzen verborgenen „Chor der Greise“. Kareev hat Schillers Drama eine längere Passage aus Elfriede Jelineks „Ulrike Maria Stuart“ untergejubelt: „Das Weib hat kein Gewissen, und diese, eure Mutter, hat schon gar keins.“ Es ist ein Text, in typisch Jelinek’scher Mehrdeutigkeit interpretierbar als bösartige Rede an eine unmündige, manipulierte Bevölkerung und als Beschreibung von ideologischer Verblendung: „Nein, leben soll sie nicht, an die Gerechtigkeit des Weibes glauben wir schon lange nicht, wir Alten glauben nur an Deutschland, wie früher, sonst an nichts. … Und der Prozess gegen die Staatsverbrecher … Den Prozess erwarten wir geradezu.“ – Da haben wir die politische Konnotation und den persönlichen Konflikt gleichermaßen: Maria wird zu einer Staatsverbrecherin wie der RAF-Terroristin Ulrike Meinhof erklärt – und Kompromissfähigkeit zur Konfliktlösung ist nicht mehr vorhanden.

Mit dem Prozess gegen Maria Stuart ist das jedoch so eine Sache: „Du kannst das Urteil über die nicht sprechen, die dir nicht untertänig sind“, erkennt Elisabeth – und zweifelt. Neunzehn Jahre wird sie Maria gefangen halten. Das Volk fordert das Haupt der Stuart? So wird ihr zweimal vorgegaukelt, doch sie ahnt, dass es nicht die Stimme ihres ganzen Volkes ist, die auf ihrer, der amtierenden Königin Seite steht. Die hübschere, weichere Konkurrentin wird mehr geliebt. Elisabeth zeigt sich geradezu traumatisiert von ihrer Rivalin. Sina Ebells Gesichtszüge werden weicher, als sie sich dies eingesteht. Doch sie kennt keinen anderen Ausweg als den typisch männlichen: den des Kampfes, des Mordes, der Hinrichtung. Ob es historisch andere Konfliktlösungen gegeben hätte? Man weiß es nicht genau: Zicken und Intrigantinnen waren beide Königinnen, nonchalant gaben sie Morde in Auftrag, wie das bei Königs damals üblich war. Bei Schiller schimmert zwischen all den politischen Intrigen die zumindest theoretische Möglichkeit zu einer Einigung durch. Bei Kareev spielen politische Motive kaum eine Rolle – da fahren einfach zwei Alpha Women auf Konfliktkurs aufeinander zu.

Adrian Kareev hat eine wunderbare Musik zu der Inszenierung gemischt, die zum Showdown noch einmal Atmosphäre schafft. Dann wird Maria hingerichtet. Einer der beiden transparenten Plastikeimer, die von Beginn an von der Decke hingen – der eine über Elisabeths, der andere über Marias Seite – kippt um. Aufrecht steht die halbnackte Maria im Blutregen. Selbstbewusst präsentiert sie ihren perfekten Körper. Über Elisabeths Gesicht huscht ein Anflug von Entsetzen: „Stets finden mich der Welt Hyänen.“ Noch im Tod zeigt ihr Maria, was Elisabeth nicht hat. Doch auch sie steht stolz im Raum und geht ab mit William Ernest Henleys „Invictus“ auf den Lippen. „Egal, wie schmal das Tor, wie groß, / wieviel Bestrafung ich auch zähl. / Ich bin der Meister meines Los‘. / Ich bin der Captain meiner Seel‘“.

Zwei starke Frauen. Zwei unglückliche Frauen. Zwei kompromisslose Frauen. Schwach sind nur die Männer.