Übrigens …

Gegen den Hass im Köln, Schauspiel

„Wer ist zugehörig und wer nicht?“

Carolin Emcke, 1967 in Mülheim an der Ruhr geboren, studierte Philosophie, Politik und Geschichte in London, Frankfurt am Main und New York. Sie arbeitete u.a. als Redakteurin beim Spiegel, für die Zeit und für die Süddeutsche Zeitung. 2016 erhielt sie den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.2016 wurde ihr Buch Gegen den Hass veröffentlicht, ein Plädoyer für die Freiheit und Akzeptanz von individueller Meinung. Sie kritisiert vehement den heute zunehmenden Hass auf alles, was vom Mainstream abweicht, wobei sie ihren Standpunkt durch zahlreiche Beispiele illustriert.

Thomas Jonigk, der in der letzten Spielzeit die Erzählung Rückkehr nach Reims des französischen Soziologen Didier Eribon für die Bühne bearbeitete und inszenierte, greift mit Emckes Werk ein aktuelles politisches Thema auf. Warum breitet sich offener Hass heute immer mehr in unserer Gesellschaft aus? Das Phänomen der Ablehnung von Andersartigkeit – sei es ein anderer Glaube, eine andere Hautfarbe, eine andere Religion oder eine andere sexuelle Orientierung – ist nicht neu: „Diese unterschwellige Abwehr von Menschen, die als fremd angesehen wurden, gab es schon immer.“ Warum aber wird die offene Ablehnung aller Minderheiten heute so evident? Man denke nur, wie im Text zitiert, an die erschreckenden Wahlerfolge der rechtspopulistischen Parteien in vielen europäischen Ländern, nicht nur in Deutschland.

Jonigk kann sich auf ein hervorragendes, wandlungsfähiges Ensemble verlassen. Er hat Emckes Text ohne Änderungen übernommen und lässt ihn in verschiedenen Szenen, Monologen und Dialogen vortragen oder spielen. Lieder aus der deutschen Romantik ergänzen den Abend (von Franz Schubert, Robert Schumann, Clara Schumann und Hugo Wolf).
Es beginnt mit einer kahlen Spielfläche vor einer hellen Wand. Zwei Männer in weißer Krankenhauskleidung und mit weißen Plastikschürzen (Stefko Hanushevsky und Jörg Ratjen) scheinen in einer Pathologie beschäftigt zu sein. Zudem wird ein Seziertisch mit einer nackten männlichen Leiche (Justus Maier) hereingerollt. Eine Kollegin (Kristin Steffen) beginnt, über Hass und Ablehnung alles Fremden zu sprechen: „Manchmal frage ich mich, wie sie das können: so zu hassen. Wie sie sich so sicher sein können. Denn das müssen die Hassenden sein: sicher. Sonst würden sie nicht so sprechen, so verletzen, so morden. … Am Hass zweifelnd lässt sich nicht hassen.“ Die Männer äußern auch ihre Meinung. Plötzlich springt die Leiche auf und läuft herum, was jedoch niemand wahrzunehmen scheint. Dann spricht sie sogar zum Publikum. Die Mitspieler kleiden sie an, Justus Maier singt ein Lied. Berührend der Kontrast zwischen den schrecklichen Tatsachen in unserem Alltag – so das Beispiel der Flüchtlinge, die von Rassismus und Gewalt bedroht werden - und dem melancholischen Lied. Des weiteren wird der inzwischen bekannte Fall aus dem sächsischen Clausnitz skizziert, wo sich einige wenige Flüchtlinge in einem Reisebus einer feindlichen Menge gegenüber sahen. Ratjen nennt das Stichwort „Jagd“ in diesem Zusammenhang und schwenkt einen Benzinkanister. Auch die Hassparolen im Netz werden erwähnt bzw. die Staatsanwaltschaft, die in manchen Fällen nicht zügig ermittelt: „Vorbereitet und geduldet wird dieser Hass aus der Mitte unserer Gesellschaft heraus.“
Der Fall des schwarzen US-Bürgers Eric Garner, der Opfer eines rassistischen Polizeieinsatzes auf Staten Island in New York wurde, wird äußerst anschaulich geschildert und durch drei große, leicht unscharfe Fotos, in Bilderrahmen an Gemälde in einer Galerie erinnernd, illustriert. Daneben ein Foto der nächtlichen Szene vor dem Kölner Hauptbahnhof – vermutlich geht es um dieses Ereignis in der Silvesternacht, das vor einigen Jahren durch die Presse ging.
Spannend und wichtig auch die Gedanken Emckes zur Demokratie und zur Negierung der homogenen Nation, der sich AfD und Pegida verpflichtet fühlen“.

Mit nur wenigen Mitteln – so rutscht die Wand mal vor, dann wieder zurück, an verschiedenen Stellen werden Türen geöffnet – variiert Jonigk die Spielfläche. Am Ende taumeln vier Astronauten (hier wäre noch zur Vervollständigung des Ensembles Julius Ferdinand Brauer zu nennen) in Schutzanzügen im Wind durch diese unwirtliche Welt, beobachtet von Maier.
Fazit: „Das muss aufhören, das bequeme Hinnehmen dessen, was sich scheinbar nicht ändern lässt.“

Ein äußerst wichtiger, sehenswerter Abend zu einem hochaktuellen Thema, das vielseitig bebildert wird.