Floskeln und Stille, Leere und Düsternis
Öd und leer wirkt die Bühne. Oft ist sie ins Dunkel getaucht, und hinten huschen schemenhaft Gestalten vorüber. Dann wieder herrscht irritierende Helligkeit. Sie gibt den Blick frei auf eine Schar zagender, angstvoller, trauriger, gleichgültiger, gemeiner, besserwisserischer Menschen, die in der Leere des Raumes floskelhafte Sätze sprechen, als Ausdruck einer großen Verlorenheit. In der Glaube, Liebe und Hoffnung kaum Platz finden, so sehr sie auch alle derartige Befindlichkeiten herbeizureden suchen. Worte sind’s nur und zumeist folgt darauf – Stille.
Glaube Liebe Hoffnung ist eines jener Volksstücke Ödön von Horváths, die den kleinen Leuten eine Stimme geben, woraus allerdings kaum Selbstbestimmung erwächst. Denn hier ist jeder Rädchen im mächtigen bürokratischen Getriebe, und selbst die Antreiber haben nicht unbedingt das Glück auf ihrer Seite. Ganz am Ende aber auf der Skala der Untergebenen steht Elisabeth: vom Pech verfolgt, Opfer von Umständen und Paragraphen, gleichwohl von enormer Willenskraft geprägt, sich aus diesen Fesseln zu befreien. Für die anderen ist sie das Fräulein, abschätzig von oben herab betrachtet, Objekt mehr denn Individuum.
Floskeln und Stille, Leere und Düsternis – in Oberhausen hat Intendant Florian Fiedler jetzt Horváths Stück in Szene gesetzt, behutsam, leise, zentriert auf die Figuren. Nicht als Spektakel, sondern in klaren, oft asketischen Bildern. Wirkungsvoll, trotz Verzichts auf minutiöse Psychologisierung. Stattdessen umweht diese Deutung der beständige Hauch des Morbiden. Kein Wunder: Nannte doch Horváth sein Werk einen Totentanz. Das Fräulein, am System zerbrochen, an den Menschen verzweifelnd, begibt sich am Schluss in die Hände Gevatter Heins. Daneben aber sind es viele Zwischentöne, die im Stück auf Tod und Zerstörung hinweisen.
Horváth schrieb Glaube Liebe Hoffnung 1932, als die Weimarer Republik am Ende war. Die Geschichte ist einem realen Fall entlehnt, auf den ihn der Gerichtsreporter Lukas Kristl aufmerksam gemacht hatte. Eine junge Frau (Elisabeth) arbeitet ohne Gewerbeschein, wird zu einer Geldstrafe verurteilt. Das Geld leiht sie sich, angeblich um einen neuen Gewerbeschein zu bekommen. Als der Betrug auffliegt, landet sie hinter Gittern. Wieder in Freiheit, verliebt sie sich in einen Polizisten (Der Schupo), verschweigt ihm aber ihre Vorstrafe. Doch auch diese Lüge kommt ans Licht, der Mann lässt sie sitzen, um seiner Karriere willen. Und das Fräulein geht ins Wasser.
Lise Wolle spielt die Unglückliche, die Regie ist ganz auf sie fokussiert, wie auch der Rest des Ensembles, diese Ansammlung aus falschen Beschützern, Paragraphenhengsten und kleingeistigen Philosophendarstellern. Sie versagt sich dabei jede überhöhte Tragik, nur leiser Trotz blitzt bisweilen in ihrem, in Elisabeths Sprechen auf: „Nein, das lasse ich mir auch von Ihnen nicht nehmen, dass ich noch einmal Glück haben werde“. Sie wirkt so mutig wie zerbrechlich, so tatkräftig wie verloren. Auf der karg ausgestatteten Bühne (Maria-Alice Bahra) hat Elisabeth nur ein kleines Eckchen für sich: mit Spiegel und Waschtisch, alles ziemlich heruntergekommen. Der Horizont weitet sich erst an der Hinterwand der Bühne: schlicht, in faden Grautönen und doch spektakulär wirkt die Innenansicht des Pathologischen Instituts, wo Elisabeth vergeblich versucht, vorzeitig ihren Körper für die Wissenschaft zu verkaufen, um mit dem Erlös ihre Schulden zu begleichen. Am Ende wird das morbide Bild wiederkehren: wenn das Fräulein, in den Tod getrieben, sich in Kreuzigungspose dem Kreuz an der Wand gegenüberstellt, wenn das Wasser von oben herab sie ertränkt, sie dasteht mit stummem Blick auf ihre Peiniger.
Ödön von Horváth hat die „Schuldigen“, selbst Opfer von Wirtschaftskrise, Inflation und politischen Unruhen, als eine Typenparade von Spießern und Amtsschimmeln gezeichnet. Trefflich wird das in Oberhausen beglaubigt. Niemand kommt in diesem Totentanz ungeschoren davon. Der Schupo, den Clemens Dönicke in einer Mischung aus schüchternem Liebhaber und gehorsamem Untertanen gibt, setzt sein Leben in den gewalttätigen Straßenkämpfen aufs Spiel. Die Geschäftsfrau Irene Prantl, die sich in ihrem Trikotage-Laden dem Schaufensterpuppenwalzer hingibt, von Anna Polke herrlich schrullig wie giftig gespielt, muss verkaufen oder untergehen. Oder die Frau des Amtsgerichtsrats (Ronja Oppelt): heimliche Vertreterin für Prantls Dessous, weil selbst in diesem gehobenen Bürgerhaushalt die Kasse offenbar nicht mehr stimmt. Sie ist wohl die hintertriebenste, mit ihrem nöligen Singsang widerlichste Person, die dem Fräulein mit guten Ratschlägen auf die Nerven geht.
„Alle meine Stücke sind Tragödien“, hat Ödön von Horváth festgestellt. Doch trotz großerTragik gibt es immerhin winzige Glücksmomente. Wenn Elisabeth und der Schupo zueinander finden, dann flimmern in Oberhausen weltberühmte Filmkussszenen auf. Das ist vielleicht ein bisschen kitschig, schärft aber den Blick fürs Elend umso mehr. Entsprechend gelingt dem Theater Oberhausen ein sehenswerter Einstand in die neue Saison. Die Leere, die sich stets beklemmend bemerkbar macht, gibt weder der Liebe noch der Hoffnung eine Chance. Und der Glaube – an das Gute, an das Glück – kommt bloß erschütternd naiv daher.