Übrigens …

Shockheaded Peter im Neuss, Rheinisches Landestheater

Familienfreundliche Show

Der Frankfurter Kinderarzt Heinrich Hoffmann schrieb und illustrierte vor mehr als 150 Jahren den Struwwelpeter (Shockheaded Peter), weil er in den Bücherregalen nichts finden konnte, was die Fantasie seiner Kinder beflügelte. Das Ergebnis war eine Sammlung höchst gruseliger Horrorgeschichten voll schwarzer Pädagogik. Schnell wurde das Buch ein Welterfolg.
„Sieh einmal, hier steht er. Pfui! Der Struwwelpeter! An den Händen beiden ließ er sich nicht schneiden seine Nägel fast ein Jahr; kämmen ließ er nicht sein Haar. Pfui! Ruft da ein jeder: garst‘ger Struwwelpeter!“ Jeder kennt ihn auch heute noch, ebenso wie den Zappelphillipp oder den Daumenlutscher, dem der Schneider beide Daumen abschneidet. 1998 griffen Phelim McDermott, Julian Crouch und die Band „The Tiger Lillies“ den Stoff auf und vertonten ihn in einer Art Bänkelgesang mit einem Touch Zirkusmusik und etwas an die Dreigroschenoper erinnernd. Sie übernahmen den ursprünglichen Text, den Andreas Marber wieder ins Deutsche zurückübersetzte. Aus der Anleitung zu einer brachialen Erziehung wurde eine Beschreibung bzw. Auflistung einiger recht merkwürdiger heutiger Erziehungsaspekte: so zum Beispiel frühkindliche Spracherziehung mit Mandarin oder die Betonung des Stellenwertes von gesunder Ernährung mit Bioprodukten aus der Region. Regisseur Philipp Moschitz,1985 in Osnabrück geboren, will in seiner Inszenierung die Eltern unter die Lupe nehmen und macht sich dabei über unterschiedliche Formen von Elternstandpunkten heute lustig. Dementsprechend veränderte er das englische Original.
„Statt eines diabolischen
Conferenciers wird bei uns der Struwwelpeter selbst durch die Handlung führen“, so Moschitz. Laila Richter, eine von fünf neuen Mitgliedern im Ensemble (zu nennen sind noch: Antonia Schirmeister, Sarah Wissner, Philippe Ledun und Ulrich Rechenbach), spielt den Struwwelpeter (mit einem sehr dekorativen, farbenfrohen Kostüm, bunter Wuschelperücke und natürlich den langen Fingernägeln). Sie tritt zu Beginn von der Seite her in den Zuschauerraum und ermahnt Zuschauer mit schwachen Nerven, vielleicht doch das Theater jetzt zu verlassen.
Auf der Bühne sehen wir eine große Holztonne, die nur halb geschlossen ist. Das merkt man, wenn sie sich dreht und im Laufe des Abends das Bühnenbild für verschiedene Szenen des Familienlebens präsentiert. Jeweils marktschreierisch angekündigt als „Sensation“: „Die beste Erziehung“, „Häusliche Gewalt“, „Zeitgemäße Erziehung“ usw.

Gelungen die Idee, dem großen Struwwelpeter ein kleines Alter ego in Form einer ihm ähnlich sehenden Puppe zur Seite zu stellen. Gut 80 Minuten dreht sich der Reigen der verschiedenen Bilder zur Musik der Tiger Lillies, gespielt von der Band „The Shockheads“: Matthias Flake (Tasteninstrumente), Leo Henrichs (Gitarre, Bass, Banjo) und Pablo Liebhaber (Percussion).Spiel, Choreographie, Kostüme, Bühnenbilder – alles sehr ästhetisch, schwungvoll und überzeugend. Und doch keine nur annähernd gruselige, rockige oder gar durchgeknallte Junk Oper, wie sie das Programmheft verspricht, sondern durchaus für einen Familientheaterbesuch geeignet .