Übrigens …

Bilder deiner großen Liebe im Bochum, Schauspielhaus

Wie ein Rock-Star

Manche sagen, die Bilder deiner großen Liebe seien die „Fortsetzung“ von Wolfgang Herrndorfs Erfolgsroman Tschick. Das stimmt so nicht. Aber Isa, die Protagonistin dieser Erzählung, ist das Mädchen von der Müllkippe, in das Maik Klingenberg sich in Tschick beinahe verliebt hätte. Man kann ihre Geschichte ziemlich nett inszenieren, wie das Jan Gehler am Düsseldorfer Schauspielhaus (siehe tp-Besprechung hier) getan hat. Es geht aber auch anders: rotzig, trotzig und mit einem Fokus auf Isas pathologischer Geschichte. Pathologisch sind nicht nur ihre Lügen, die abstrusen Geschichten, die sie zu ihrer Biographie erfindet. Pathologisch ist ihre Krankheit. Isa ist „verrückt“, wie man früher gesagt hätte, ist aus der psychiatrischen Klinik ausgebrochen. Wie es zu ihren psychischen Störungen kommen konnte, begreift man bald, wenn Isa ihre Geschichte erzählt, auch wenn man nicht immer weiß, was stimmt und was erfunden ist.

Isa singt und erzählt und entwirft dabei Bilder, Bilder einer Liebe, Bilder eines Lebens, Bilder eines sensiblen, verletzten Innenlebens. In Tom Schneiders Inszenierung vom Theater Neumarkt Zürich, die mittlerweile auch ins Repertoire des Schauspielhauses Bochum übernommen wurde, ist Sandra Hüller diese Isa. Und sie gibt sie als Rockstar - eigentlich passend zu dieser Biographie und zu dieser Andersartigkeit des Mädchens, zu ihrer Störung, die auch so viel Kreativität und Energie mit sich bringen kann. „Hallo Bochum!“, nimmt Hüller in Rockstar-Manier Kontakt mit dem Publikum auf; sie flirtet mit den Zuschauern; sie spielt mit Witz und Humor, mal vordergründig naiv, mal doppelbödig, mal verschmitzt - und in den ruhigeren Phasen mit unendlicher Melancholie. Hüller findet Sätze in Herrndorfs Text, die wärmen mit ihrer Poesie und die doch unendlich traurig machen können. Sie erzählt Episoden aus Isas Leben, die weinen machen könnten. Und dann rockt sie wieder und amüsiert mit ihren rotzigen, kackfrechen Bemerkungen.   

Irgendwie ist das Jazz, was Hüller da abliefert: eine sehr freie Improvisation über Herrndorfs unvollendeten Roman, die aber immer wieder zu dessen Thema zurückkehrt. Der Text wird zu einem grandiosen Wortkonzert, einer Partitur aus Worten, Musik und Schweigen. Am Ende holt Hüller Moritz Bossmann und Sandro Tajouri an die Rampe, ihre großartigen musikalischen Begleiter. Die werden nun zu Maik und Tschick. Und wie in Herrndorfs Vorgänger-Roman verabreden sie sich zu einem Wiedersehen in 50 Jahren: gleicher Ort, gleiche Stelle. Isa aber geht fort, bis tief in die Nacht und weiter. Und irgendwo stirbt ein kleines Tier im Maul eines größeren.