Die Installation der Angst im Bonn, Theater

Keine Angst vor der Angst!

Kennen Sie die auch, diese irrationalen Ängste vor echten oder vermeintlichen, von Ihnen nicht zu kontrollierenden Gefahrensituationen? Flugangst ist das vielleicht das verbreitetste Phänomen unter ihnen. Aus dem Bekanntenkreis des Schreibers dieser Zeilen seien zusammengetragen: Angst vor einer Fahrt nach Belgien, weil in Molenbeek die Terroristen hausen. Angst vor einem Tsunami am Mittelmeer. Angst vor einer Reise nach Namibia, weil im 4.400 Kilometer vom Ziel entfernten Liberia Ebola herrscht. Oder ganz banal: Angst vor Bernd dem Schneider, der über die Schlafzimmerdecke krabbelt.

In Rui Zinks Novelle Die Installation der Angst, die Clara Weyde am Theater Bonn auf die Bühne gebracht hat, ist „die Frau“ eigentlich ziemlich geerdet und rational. An Ängsten wie den oben beschriebenen leidet sie nicht. Und doch ist sie ein wenig verunsichert, als zwei Beamte an ihrer Tür klingeln, um gemäß „Erlass Nr. 359 / 13, Verfügung Nr. 8“ in ihrer Wohnung die Angst zu installieren. Menschen, die Angst haben, sind leichter zu steuern und zu manipulieren. Wohl deshalb wurde die Angst in dem ungenannten Land, in dem die Geschichte spielt, zur staatsbürgerlichen Pflicht erklärt. Carlos (Christian Czeremnych) ist der Installateur, der der Frau mit absurden Argumenten seine Dienstleistung aufdrängt. Sousa (Wilhelm Eilers) ist sein etwas brummiger Gehilfe, der darauf achtet, dass die dem Beamtenapparat innewohnende Hierarche eingehalten wird. Die beiden haben jede Menge unterschiedlicher Bedrohungen im Sortiment, vor denen man Angst haben könnte: Die Natur kennt nicht nur Bernd den Schneider, sondern finsterere Gesellen wie Taranteln und Schlangen. Maliziös entwerfen die Männer ein Szenario, in dem man die unbedacht in der Toilette hinuntergespülten giftspritzenden Ungeheuer vor seinem geistigen Auge aus der Schüssel kriechen sieht – besonders, da die Frau gerade von ihrem kaputten Lokus berichtet hat. (Dass es sich hierbei um eine Schutzbehauptung handelt, ahnen wir zu diesem Zeitpunkt, ohne jedoch den Grund zu kennen.) Carlos und Sousa beschwören die Angst vor Pandemien und Krankenhauskeimen, die Angst vor dem Fremden, vor Terrorismus, Flüchtlingen und Serienmördern. Und vor Euthanasie-Programmen – nichts anderes dürfte sich hinter der staatlich unterstützten Verjüngung der Gesellschaft verbergen. In einer allzu langen Passage schüren die Herren die Angst vor „den Märkten“: Rui Zink legt sein zwischen Absurde, Groteske und Politkritik angesiedeltes Stück auch als satirische Attacke auf die Marktwirtschaft an. Nur als die Frau nach der Angst vor der Strafe Gottes fragt, stellen die Männer mürrisch fest, die sei inzwischen passé.

Die Frau dagegen ist nur von einer einzigen Angst geplagt: Sie fürchtet, dass die Männer ihren im Badezimmer versteckten Sohn entdecken. Carlos und Sousa wissen alles über die Frau – um den Datenschutz ist es in ihrem Land offensichtlich schlecht bestellt. Als die Angst-Installateure ihre Instrumente zeigen, weisen sie auch auf die Männer hin, die vor dem Fenster auf der Straße stehen und warten, „dass jemand einen Fehler macht – auf Sie!“ So erweist sich die Frau zu Beginn durchaus als ein wenig furchtsam, wobei der Grund für ihre Verängstigung offensichtlich nicht in den von den Beamten aufgefahrenen großen Plagen der Menschheit liegt. Lydia Stäubli spielt das sehr charmant und gewinnt schnell ihre Haltung zurück. Sie lässt sich mehr und mehr auf das Spiel ein, das Carlos und Sousa mit ihr treiben, und sie beginnt sogar, Freude daran zu haben.

Eine Geschichte, deren Anfang ihr die Männer vorgeben, soll sie zu Ende erzählen. Stäubli gelingt das perfekt: Sie steigert sich in ein immer düsterer werdendes Märchen, bis dass sie sich mit ihrer eigenen Geschichte in Angst und Panik versetzt. Unmerklich setzt während ihrer Erzählung der Soundtrack von Thomas Leboeg ein, der sich zur bedrohlichen Geräuschkulisse eines Horrorfilms steigert. Da glaubt man glatt, die Strategie zur Installation der Angst gehe auf. Von den „Märkten“, vor denen sie Angst haben soll, versteht die Frau nichts. Carlos und Sousa lassen sie alle möglichen hanebüchenen Anglizismen aus der Wirtschaftswelt übersetzen: Sie tut das wörtlich, ohne die Bedeutung der Begriffe im realen Business-Sprech zu kennen – und es macht ihr Spaß. Stäublis „Frau“ hat keine Angst vor der Angst. Längst lässt sie sich nicht mehr verunsichern. Ihr inneres Warnsystem hat funktioniert, doch sie spürt, dass die Männer mit ihren groben Klötzen ihr nichts anhaben können. So gewinnt sie unmerklich die Oberhand. Bei den beiden Installateuren funktioniert das Warnsystem nicht: Sie bemerken nicht, dass eine – allerdings auch für den Zuschauer überraschende – Rollenumkehrung droht. Ihre Unachtsamkeit ist fatal. Denn am Ende wird es Christian Czeremnychs Carlos sein, der winselt vor Angst. Wilhelm Eilers dagegen, der den Sousa spielt, hat zum Winseln keine Gelegenheit mehr…

Rui Zinks groteske Satire ist eine großartige Entdeckung, auch wenn sie zumindest in der Bonner Bearbeitung mit den langen Passagen über Politik und Moral und die zum Funktionieren des marktwirtschaftlichen Systems erforderlichen Menschenopfer eine gewisse Unwucht erhält. Zink hat einen wunderbaren Aphorismus gefunden, den in sein Stück einzubauen er sich nicht verkneifen konnte: „Die Märkte sind flüssiges Nitroglyzerin in einem dünnwandigen Reagenzglas in der Hand eines betrunkenen Jungen, der zum ersten Mal Auto fährt.“ Was für ein toller Satz, der natürlich an Henri-Georges Clouzots Thriller „Lohn der Angst“ mit Yves Montand denken lässt. Aber er wirkt wie ein Fremdkörper in dem mit kurzen Sätzen auf schnelle Pointen setzenden Text. An den schnellen Pointen und wohl auch an schärferem Sarkasmus mangelt es gelegentlich auch der Inszenierung von Clara Weyde, die trotz einiger gelungener Regie-Ideen ein wenig blass bleibt. Vielleicht war es keine gute Idee, eine geschlagene halbe Stunde lang in inzwischen schon historisch gewordener Castorf-Neumann-Tradition im geschlossenen Container spielen zu lassen und das Spiel per Video auf die Außenwände des geschlossenen Raumes zu übertragen. Es fehlt in diesen Momenten an Unmittelbarkeit des Spiels. Wenn dann endlich der Container geöffnet wird, sind die ersten Überraschungen und die ersten starken Momente von Lydia Stäublis Spiel schon vorbei. Erst am unerwarteten und zum Premierendatum an Halloween perfekt passenden Schluss ziehen Spannung und Absurdität wieder an.

Czeremnychs und Eilers‘ Installateure wirken in ihren gestreiften Einteilern wie zwei Beckett-Clowns. Das Absurde der Geschichte wird dadurch auf kongeniale Weise unterstrichen. Aber die potentiellen Bedrohungen, die die Inszenierung anspricht, sind so weit von unserer Realität nicht entfernt. Wenn wir nicht aufpassen, sind diese bald realer als eine Tsunami-Warnung am Mittelmeer. Wehret den Anfängen, scheint Rui Zink uns sagen zu wollen. Und: Ängste sind manchmal irreal, angsterfüllte Menschen sind oft auch leichte Beute für Manipulatoren. Aber Ängste sind auch ein Warn-System. Manchmal macht es Sinn, auf sie zu hören…