Übrigens …

Linda im Schauspielhaus Düsseldorf

So erfolgreich – und doch nicht davor gefeit abzustürzen

Linda ist eine erfolgreiche „Senior Brand Managerin“ im Kosmetikkonzern „Swan“. Sie sieht sich selbst als Perfektionistin, der einfach alles geglückt ist: „Ich bin eine preisgekrönte Geschäftsfrau. Ich bin glücklich verheiratet, habe zwei hübsche Töchter, und ich passe immer noch in dasselbe Kleid wie vor 15 Jahren. Was könnte mich bedrohen?“
Linda will eine neue Werbekampagne lancieren mit „Visibility“, einem Kosmetikprodukt für Frauen ihrer Altersgruppe, die im öffentlichen Leben kaum mehr wahrgenommen werden und erst recht nicht in der Werbung auftauchen. Höchstens so bekannte Persönlichkeiten wie Helen Mirren: „Wir sind es den älteren Frauen schuldig, ihre Misere ernst zu nehmen.“ Linda, selbst eine attraktive, dynamische, elegante und äußerst selbstbewusste Frau, ist perfekt mit Claudia Hübbecker besetzt, die, superschlank, im schwarzen Jumpsuit und mit High-Heels diese erfolgsverwöhnte Karrierefrau grandios spielt, aber auch alle weiteren Facetten dieser Frau glaubhaft vermittelt. Wird doch Linda damit konfrontiert, dass ihr Boss Dave (Wolfgang Michalek spielt ihn, in kleinkariertem Anzug und mit rosa Schlips, mal kumpelhaft-freundlich, dann autoritär) überhaupt nicht mit ihrem neuen Konzept einverstanden ist. Er will den Markt der wesentlich Jüngeren erobern, die sich doch auch schon früh Sorgen um das Älterwerden machten. Zudem setzt er Linda brutal eine wesentlich Jüngere (auch überzeugend: Hannah Werth als ehrgeizige, skrupellose Karrierefrau) vor die Nase, weiß er doch, „wie ihr Mädels tickt“. Linda soll ein Teamplayer werden.
Aber nicht nur im Beruf, sondern auch zuhause bröckelt die bisher ach so heile Welt von Linda. Ihr unauffälliger Ehemann Neil (optimal besetzt von Thiemo Schwarz), Lehrer und offensichtlich in der Midlife-Crisis, singt neuerdings in einer Band und will ein Popstar sein. Er lässt sich auf ein Verhältnis mit der viel jüngeren Sängerin Stevie (Sophia Schiller) ein. Lindas Tochter Alice (Lea Ruckpaul in einer weiteren Glanzrolle) wurde vor zehn Jahren durch die Verbreitung intimer Fotos von ihr im Netz so verstört, dass sie jegliche Studienpläne aus den Augen verlor und seitdem nur in einem Kunstfellstinktierkostüm herumläuft, das wie ein Tarnanzug funktioniert. Tochter , Bridget (Caroline Adam Bay), hat Ambitionen, zur Bühne zu gehen. Sie meint aber, nur mit einer Männerrolle beim Vorsprechen punkten zu können und wählt den Monolog König Lears. Die weiblichen Figuren auf der Bühne haben ihrer Meinung nach nichts zu sagen.

 

Die britische Dramaturgin Penelope Skinner schrieb dieses Stück, das deutlich psychologische und realistische Züge trägt. Es wurde bereits in New York und London mit großem Erfolg aufgeführt. Marius von Mayenburg führt äußerst sensibel Regie. Es gab an diesem Abend auch durchaus komische Aspekte, über die man lachen konnte. Im Mittelpunkt stets Linda, deren Bild von sich selbst immer mehr Risse bekommt, die sie nicht mehr übertünchen kann. So nimmt sie den treulosen Ehemann, der eines Tages betreten in der Tür steht, zurück, gehört eine scheinbar intakte Familie doch zum Image einer Karrierefrau.

 

Die minimalistische Bühne - weiß ohne jegliche Requisiten (diese liegen rechts und links neben der Spielfläche) - ist klug gewählt. Man konzentriert sich auf das dramatische Geschehen. Linda, frustriert nach dem Fehltritt von Neil und der Absage Daves, lässt sich von Luke (Chris Eckert), dem jungen Büroboten, kurzfristig trösten. Der natürlich ein Erinnerungsfoto schießt. Auch dieses taucht im Netz und in der Firma auf und führt zum tragischen Ende. „History repeats itself“, wenn man an Alice denkt.

 

Ein überaus sehenswerter Abend über weibliche Verhaltensmuster und die Chancen von Frauen in der Gesellschaft. Sehr viel geändert hat sich wohl nicht. Dennoch: der Zuschauer wird intelligent und zum Teil äußerst vergnüglich unterhalten. Die fast drei Stunden vergehen dank des hervorragenden Ensembles und des überwiegend klugen und witzigen Textes – einige Klischees lassen sich nicht vermeiden – schnell. Zu Recht sehr viel Applaus, besonders für Claudia Hübbecker.