Übrigens …

Der Stein im Schauspiel Essen

Welche „Wahrheit“ stimmt?

Marius von Mayenburg, Dramatiker und Regisseur, erhielt für sein erstes Stück, Feuergesicht, den Kleist-Förderpreis für junge Dramatiker sowie 1998 den Preis der Frankfurter Autorenstiftung. Die Zeitschrift „Theater heute“ wählte ihn 1999 zum Nachwuchsautor des Jahres.

In seinem Werk Der Stein verdichtet von Mayenburg knapp 60 Jahre deutscher Geschichte, wobei er als Handlungsort ein Haus in Dresden wählte, das zwischen 1933 und 1993 dreimal den Besitzer wechselte. Wenn man die Handlung chronologisch erzählte, wäre sie zweifellos weniger spannend. Der Autor lässt das Geschehen in fünf Zeitsprüngen, die zuweilen sehr knapp aufblitzen – das heißt, die Szenen sind sehr unterschiedlich lang, manchmal dauern sie nur wenige Minuten -, ablaufen. So entsteht eine gewisse Spannung, da manch düstere Fakten sich erst nach und nach herausstellen. Geht es doch um ein deutsches Ehepaar, Witha und Wolfgang, das 1935 einem jüdischen Professor im Veterinärmedizinischen Institut und seiner Frau das Haus wegnimmt und sie an die Gestapo verrät. Wolfgang übernimmt als strammer Nazi („Wir sind keine Juden, wir sind anständige Deutsche.“) die Stelle des Professors. Bei Kriegsende begeht er mit den Worten „Heil Hitler“ Selbstmord, ist doch „Deutschland am Boden und der Führer tot“. Als die Amerikaner das Haus bombardieren und die Russen in die Stadt kommen, verlässt Witha mit ihrer Tochter Heidrun das Haus und begeht Republikflucht - nicht ohne vorher Liebesbriefe und ihr Parteiabzeichen im Garten zu vergraben. Auch einen Pflasterstein, von dem später behauptet wird, er sei durch das Fenster geworfen worden, weil Wolfgang Juden geholfen habe. Überhaupt gibt es zahlreiche Beispiele, wie man sich die Vergangenheit zurechtstricken kann. 1978 besuchen Witha und Heidrun ihr ehemaliges Haus. Eine Fremde, Stefanie (Silvia Weiskopf), kommt zu Besuch („Ich komme, um zu stören.“). Auch sie hat einmal in diesem Haus gelebt und macht Ansprüche geltend. 1993 kehrt die Familie endgültig zurück.

Elina Finkel inszenierte Der Stein in Essen. Eine hohe Mauer aus Tuchballen grenzt die Bühne nach hinten ab. Requisiten und Kleidungsstücke sind in ihr verstaut. Die Jahreszahl der jeweiligen Szene wird darauf projiziert. Im Vordergrund steht ein langer Tisch mit Stühlen, rechts ein Klavier.

Ines Krug gibt Witha als energische, rechthaberische Frau, die meint, immer das „Richtige“ getan zu haben. Ohne Empathie für Stefanie und erst recht nicht für Mieze (Sabine Osthoff), die Frau des jüdischen Professors. Als Mieze kurz vor ihrem Weggehen in einem Verzweiflungsanfall das Klavier mit einer Axt attackiert, ist das einer der wenigen bewegenden Momente an diesem Abend. Janina Sachau spielt Withas Tochter Heidrun. Sie möchte wissen, wie der Vater starb. Ihre Tochter Hannah (Josephine Raschke) fragt sie danach, als sie ein Referat über Vorbilder zu schreiben hat. Da denkt sie an den heldenhaften Großvater, der angeblich bei der Befreiung von den Russen versehentlich erschossen wurde.

Was nimmt der Zuschauer mit an diesem Abend? Sicher, dass es nur allzu oft Geschichtsklitterung gegeben hat. Wie auch diese konstruierte Familiengeschichte beweist. Diese Fakten sind 100mal in TV-Dokumentationen dargelegt worden. Die etwas mühsame Aneinanderreihung der vielen Szenen lässt den aufmerksamen Zuschauer ermüden. Steht doch die Aussage - Selbstbetrug statt Einsicht - schon sehr früh an diesem Abend fest. Ein Lob für das engagiert spielende Ensemble, das aber auch den Spannungsbogen nicht retten kann.