Diederich Heßling mal sechs
Den Typ Diederich Heßling gibt es natürlich auch noch unter uns. Er hat in einer demokratischen Gesellschaft nicht aufgehört zu existieren: Nach oben buckeln und nach unten treten! Das wird nie sich erledigt haben, bleibt aktuell. Schwarz-Weiß-Denken - und sei es auch nur, um Profit zu schlagen aus Simplizität - ist ein Modell, in der bundesrepublikanischen Gesellschaft zum Profiteur zu werden. Das beweist die AfD bei jedem ihrer öffentlichen Auftritte. Und entlarvt sich gerade deshalb immer wieder als eine Partei, die nicht an einem gesellschaftlichen Diskurs, sondern allein an Spaltung interessiert ist. „Fake News“ als Methode zum Auseinanderdividieren einer demokratischen Gesellschaft. Das ist sowohl perfide wie widerlich.
Dass das auch schon vor einhundert Jahren saugut funktioniert hat, zeigt Heinrich Mann in seinem Roman Der Untertan. Da buckelt und tritt Diederich Heßling, lässt Untergebene strammstehen und sich dann doch bei SM-Spielchen von der Gattin in den Bauch treten. Mann zeichnet Mechanismen auf, wie gesellschaftliche Hierarchieverhältnisse sich entfesseln, bekräftigen, zementiert werden und wenig ihnen sich entgegen setzen lässt.
Und diese Mechanismen gelten auch heute noch. Das zeigt Tanja Weidner in ihrer Dramatisierung von Manns Roman, die sie für das Wolfgang-Borchert-Theater anfertigt und auch als Regisseurin auf die Bühne bringt. Brutale, nationalistische Tendenzen bahnen sich unbarmherzig ihren Weg. Das ist offensichtlich. Deshalb hat Weidner keine Schwierigkeiten, Manns Text hochaktuell für die Bühne zu adaptieren. Heinrich Mann wie Tanja Weidner zeigen, wie Populismus und mit ihm einfache, allzu simple Thesen verankert werden und Wurzeln schlagen können in einer Gesellschaft.
Sechs Mitglieder des Ensembles schlüpfen nacheinander in die Rolle des gnadenlosen Opportunisten Heßling, beleuchten ihn in verschiedenen Lebensphasen, kosten Speichelleckerei und das brutale Treten weidlich aus, tragen es ins Publikum.
Florian Bender, Rosana Cleve, Markus Hennes, Monika Hess-Zanger, Johannes Langer, Ivana Langmajer und Jürgen Lorenzen geben auch alle anderen Rollen. Sie bewegen sich sinnfällig auf Annette Wolfs Treppenelementen, die das Rauf und Runter des Lebens symbolisieren.
Weidner lässt große Teile ihres Textes chorisch sprechen. Das macht viel Sinn, ist doch die Gesellschaft des deutschen Kaiserreichs eine, in der Individualität keine Tugend darstellt - „Gemeinsinn“ ist gefragt. Leider führt aber die Häufigkeit des Stilmittels „Chor“ zu einer Abnutzung des Effekts und ein Stück Spannung geht verloren. Dennoch: Die Botschaft kommt an und das Premierenpublikum applaudiert Ensemble und Regieteam begeistert.
Leider kann aber auch Weidners überaus gelungene Inszenierung nicht darüber hinwegtäuschen, dass Heinrich Mann im Untertan seine Überzeugungen unmissverständlich, bisweilen aber auch zu überdeutlich darlegt.