Übrigens …

Die Räuber im Bonn, Theater

Freiheitskämpfer auf Abwegen

Ganze 22 Jahre alt war Friedrich Schiller, als seine Räuber 1782 im Theater Mannheim uraufgeführt wurden. 22 Jahre alt, ein angehender Literatur-Star - und ein Revoluzzer. Von heiseren Aufschreien im Zuschauerraum berichten Zeitzeugen, von Chaos, geballten Fäusten und stampfenden Füßen. Die Uraufführung wurde zum Skandal - und zum rauschenden Erfolg. Genauso wünschen wir

uns das Theater heute und sind allzu oft enttäuscht, wenn unsere Klassiker mal wieder reichlich bieder daherkommen. Regisseur Simon Solberg bewahrt uns am Theater Bonn vor solcher Enttäuschung. Er inszeniert einen Aufruhr. Seine Inszenierung spiegelt die Gemütslage rebellischer 22jähriger von heute und bringt einen jungen, mitreißenden Thriller auf die Bühne, der uns noch heute viel zu sagen hat - und der auch eine Warnung ist. Die Suche nach Freiheit, nach Loslösung von Konventionen steht im Zentrum seiner Aufführung. Solberg zeigt die Irrwege, die dabei von den Revoluzzern beschritten werden, ebenso wie die Widerstände, denen sie begegnen. Er zeigt die Konflikte innerhalb der revolutionären Zellen. Er tut das mit lauter Musik, mit Rammstein, Raps und The Prodigy. Er tut das mit großartigen choreographischen Einlagen. „Nach Schiller“, schreibt das Theater Bonn sicherheitshalber zur Autorenschaft des Abends. Aber ist das nicht gerade Schiller pur, was wir hier sehen? Die Wut und die Kraft des Klassikers aus dem achtzehnten Jahrhundert werden hinübergerettet ins einundzwanzigste. Solberg betet nicht die Asche an, sondern er bewahrt die Glut des alten Klassikers.

Dunkel, Genossen, ist der Bühnenraum, sehr dunkel. Vier senkrechte Neonleuchten geben gerade eben ausreichendes, wenig wärmendes Licht. Auch die Fackel, die ab und an brennt, hat nichts Heimeliges, und wenn später die Räuber mit mehreren Fackeln im Sturm stehen, sieht das nach bedenklichem Ku-Klux-Klan-Gehabe aus. Das Bühnenbild - naja, man mag es variabel nennen, denn die schwarzen Stelen, Quader und Raumteiler, die die einzige „Dekoration“ bilden, sind beweglich und können Zwingburg, Gruft und Schulbank darstellen, den Böhmerwald ebenso wie die Schlossmauern. Schwarz gekleidet sind auch die acht Schauspieler, die sich zu Beginn vom Bühnenboden erheben und chorisch die Klage der Kanaille Franz anstimmen: „Warum bin ich nicht als einziger aus dem Schoß gekrochen? Warum gerade mir diese Nase, diese Augen?“ - Dabei hätte Franz keinerlei Grund, über Hässlichkeit zu klagen: Franz Moor ist eine Franziska, dargestellt von Annika Schilling und, nun ja, vielleicht ist es Geschmackssache oder Gender-Quark, ihrem Bruder Karl (Daniel Stock) an Schönheit überlegen. Um die Gunst ihres Vaters wird sie nicht nur wie bei Schiller mit den üblichen Intrigen des Neiders Franz kämpfen, sondern auch mit weiblichen Mitteln: Sie umgarnt den alten Moor und setzt sich ihm lasziv auf den Schoß.

Warum geht ihr so parteiisch zu Werke?“, hatte der Chor auch gefragt. Diesen Vorwurf könnte der alte Moor schwerlich abstreiten, doch vor allem offenbart er eine für einen Vater zweier Kinder ungewöhnliche darwinistische Erziehungs-Maxime: „Schwimme, wer schwimmen kann, und wer zu plump ist, gehe unter.“ Wow, tough guy, der Alte! So hält man die Blagen klein und sichert sich noch lange die Macht im eigenen Unternehmen. Immerhin: In der Schule des Lebens ist der alte Moor der Lehrer von Franz und Karl, die sich bei Solberg schon im Kindesalter auf den Parcours ihres Schiller’schen Daseins begeben. Was streben die beiden in ihrem künftigen Leben an? „Freiheit“, antwortet Franz, der doch anderen die Freiheit zu nehmen versuchen wird. Karl greift noch höher: Er will Unsterblichkeit erlangen, und zwar, indem er Gerechtigkeit schafft. Bald wird er in die Wälder ziehen und eine Räuberbande gründen, die morden und brandschatzen wird. „Das Gesetz, es hat noch keinen großen Mann gebildet“, sagt er und geht in die außerparlamentarische Opposition. Seine Bande übertreibt es maßlos mit dem zivilen Ungehorsam, und auch wenn Karl sich von den größten Gräueltaten seiner Kumpane distanziert, scheinen er und Franz auf dem Weg zu den politischen Rändern - der eine mit blindem Idealismus, der andere mit Hass und Selbstbeschau. Spiegelberg (Gustav Schmidt), der sich selbst für den Job des Räuberhauptmanns in Position bringen will, ist ein kleiner Kevin Kühnert, ein Revoluzzer von links, der die Genossen hinter sich zu bringen versucht, aber die falschen Mittel wählt. Schweizer (Christian Czeremnych) stellt einmal fest, es brauche nicht nur Kraft, sondern Kopf müsse man haben. Eben davon hat Spiegelberg zu wenig. Aber Karl ist auch nicht gerade eine Lichtgestalt der des fairen Freiheitskampfs.

Doch bedenken wir: Sie sind noch halbe Kinder. Wenn Karl mit seinen Freunden in die Wälder zieht, um Räuber und Gendarm zu spielen, wirkt das genau so: wie ein Kinderspiel. Larissa Ruppert als Grimm erscheint sogar ein wenig wie die ausgebüxte höhere Tochter, die der Faszination der Virilität von Halbstarken erlegen ist - ein interessanter, ganz unräuberischer Typ, an dem es nicht liegt, dass der Inszenierung zu diesem Zeitpunkt ein Powerslide in die Albernheit droht. Im Nebel gibt es eine tolle Tanzchoreografie mit schlagenden Beats. „Tonight we dine in hell“, zitiert die Musik Leonidas, den Feldherrn und König von Sparta, als der seine Krieger in die mutmaßlich entscheidende, verlustbringende Schlacht führte.

Doch im Wald werden die Jungs schneller erwachsen als der Gesellschaft lieb sein kann. Es wirkt wie eine schwarze Messe, was da gefeiert wird, bevor Spiegelberg die Stadt niederbrennt und die Frauen vergewaltigt. Selbst bei Schwangeren und Kindern kennt er kein Erbarmen. Wie bei Schiller hören wir davon nur in einem Dialog zwischen Spiegelberg und Karl, doch bei Solberg wird der Bericht von den Untaten zum Gangsta-Rap. Die Jugend aber folgt den falschen Führern. Es kommt zum Showdown um die Leitung des Räuber-Teams, und Karl erkennt: Er ist „umlagert von Mördern, von Nattern umzischt.“ Gilt nicht das Gleiche auch für seinen Vater, den alten Moor? Wenn man genau hinsieht, unterschlägt Solberg nicht die Sichtweisen der Alten, der Bewahrer, die aber ebenfalls auf Irrwege geraten sind. Noch im Sterben beschimpft Vater Karl als „Weiberschänder“ und „Kindermörder“. Nun ja, der Idealist ist in der Tat auf Abwege geraten…

Die Aufführung überzeugt durch eine mitreißende Kraft und Dynamik. Original-Schiller-Texte werden in Rammstein-Manier gesungen; die Musik-Einlagen und die tollen Choreografien von Takao Baba und Solomon Quainoo (meist im Hiphop- oder Streetdance-Stil) sind mitreißend und erhalten Szenenapplaus vom jugendlichen Publikum. Perfekt verbindet die Aufführung Schillers Pathos mit heutiger Jugendsprache; manchmal gewinnt man den Eindruck, als sprächen die Schauspieler mehr die Interpretation des Textes als den Text selbst. Dann kommt die Botschaft der Regie ein wenig holzhammermäßig rüber; andererseits ist dies ein weiteres Indiz für die Vielschichtigkeit der theatralen Mittel, die die Inszenierung anwendet. Am Ende werden Bilder des brennenden Schlosses durch den orange leuchtenden Bühnennebel evoziert; die Räuber, die Karl vorwerfen, die Revolution verraten und das Prinzip der Gleichheit aufgegeben zu haben, nehmen Amalia (Annina Euling) in Geiselhaft, und zu zuckendem Strobolight scheint die „ganze Welt zugrunde“ zu gehen. Karl sieht sich „am Rande eines entsetzlichen Lebens“ und erkennt, umgeben von toten Räubern und Familienmitgliedern, seine Verblendung und Anmaßung bei der mit falschen Mitteln angegangenen Suche nach Freiheit. „Die Freiheit, die wohnt bei der Macht allein“, erkennt er resigniert. Doch ganz so pessimistisch will uns Solberg nicht auf den Heimweg schicken. Amalia steht auf von den Toten und fordert, die revolutionären Ideen nicht aufzugeben: „Wir bauten der Fürsten Zwingburg. Nun stürzen wir sie und schenken unseren Kindern Freiheit!“