„Lulu“ in Düsseldorf gerät glitschig, laut und vulgär
Die Lulu-Inszenierung von Regisseurin Bernadette Sonnenbichler am Schauspielhaus Düsseldorf gerät laut, vulgär und glitschig. Die von Lieke Hoppe gespielte Kindfrau - von Frank Wedekind vor rund einhundert Jahren als monströse Figur geschildert -, bleibt in der zweieinhalbstündigen Variante im Großen Haus am Gustaf-Gründgens-Platz trotz eimerweise Farb-Verschüttung auf der von Simeon Meier gestalteten Bühne blass und letztlich in der Genderfalle stecken.
Die Bühne ist ein einziger großer, weißer Kasten mit zahlreichen, notdürftig verschlossenen Öffnungen, aus denen Lulu immer wieder von einzelnen Männern bestürmt wird. Mal springen sie sie an, mal brechen sie über sie hinein, mal kommen sie von unten und bedrängen sie, mal stürzen sie von oben auf sie ein. Auch das - möglicherweise - hat etwas mit Lulus Lebenswandel als männerverschlingender Vamp zu tun. Auch im sexuellen Sinn gibt sie sich in Düsseldorf nach allen Seiten offen.
Einmal nur, ganz zu Beginn der Inszenierung zieht sich Lulu nackt aus, schaut dabei minutenlang ins Publikum, ganz so, als ob sie die Wirkung ihrer nackten Präsenz auf die Theatergänger erproben möchte. Dann zieht sie sich wieder an und ist bis zu ihrem bitteren Ende stets mit irgendetwas bekleidet. Ihr erster Mann, Oberstaatsanwalt Goll (Andreas Grothgar) stirbt relativ schnell bei einem Kunsthappening, bei dem Lulu voll mit Farbe eingepinselt und dann - als Bodypainting - an die Wände gedrückt Abdrücke hinterlässt.
Die Beziehung zum Maler Eduard Schwarz (Florian Steffens) dauert auch nicht ewig und endet mit dem Selbstmord des Künstlers, der es nicht verwinden kann, dass Lulus vermeintlich väterlicher Freund sie als Zwölfjährige von der Straße geholt und von da an sexuell missbraucht hat. Dafür rächt sich die so gar nicht lolitahaft wirkende Lulu, die ihre allzu häufig „unten ohne" agierenden Männer verrückt nach sich macht und zugleich erklärt: „Ich beneide den Mann um das Glück, dass er mit mir hat". Vielleicht einer der wohl wichtigsten Sätze dieses Theaterabends, der so voller Sätze feministischer Autorinnen gepackt wurde, dass ein echtes Spielen dabei zu kurz kommen muss. Irgendwann, zwischen Farbeimer-Ergüssen, sich in Gardinen wälzenden Leibern und der Erschießung ihres „väterlichen Freundes“, des Vergewaltigers Dr. Schön (Wolfgang Michalek) sagt Lulu auch noch: „Ich bin weder Opfer noch Gefangene. Ich bin die Hure, die ihr alle braucht.“
Sie scheint keinen zu brauchen, sie benutzt die Männer stattdessen . Den perversen Dompteur Quast (Miguel Abrantes Ostrowski) lässt sie von dessen eigenem Sohn, der ihr hörig ist, ermorden. Dann - wie befreiend - endlich die ersehnte Pause, von der nicht wenige der Zuschauer nicht mehr auf ihre Sitze zurück kehren. Nach der Pause geht das Treiben auf der Bühne weiter. Allerdings mit weniger Elan und Tempo. Es scheint, Lulu und der bereits dezimierten Herren-Riege ist die Puste aus gegangen.
Lulu steckt bis zum quälend langen Ende in einem engen fleischfarbenen Stoffschlauch. Da lebt sie bereits in einer Art Kellerloch irgendwo in London. Der Vatermörder ist bei ihr. Ebenso eine völlig von ihr abhängige Gräfin Geschwitz (Claudius Körber), die sich für endlos lange Minuten in einem Monolog den Vorzügen von Anus und Dildo beim Sex widmet, ansonsten ebenso Opfer von Lulu wird, wie die Männer, von denen kaum einer einen bleibenden Eindruck beim Zuschauer hinterlässt. Bis auf den Maler vielleicht sind alle widerwärtig und grotesk.
Am Schluss kommt nicht - wie bei Wedekind vor gut einhundert Jahren -
ein Jack the Ripper als Killer, um die inzwischen als Sexarbeiterin tätige Lulu von dieser Welt und diese Welt von Lulu zu erlösen. Stattdessen wählt die ins Monströse abgedriftete Lulu selbst ihr Ende.