Ein Abend über das Experiment „Was ist das normale Leben?“
Elling, Mitte vierzig und ein extremes Muttersöhnchen, wird nach dem Tod seiner Mutter in eine psychiatrische Klinik eingewiesen, da er allein das Leben nicht meistern kann. Hier teilt er sich das Zimmer mit Kjell Bjarne, der nur an zwei Dingen Interesse hat: Essen und endlich Sex mit einer Frau. Die beiden schließen Freundschaft, werden Blutsbrüder, teilen Angst, Sorgen und Nöte. Nach zwei Jahren geschütztem Klinikaufenthalt werden sie, finanziell als Frührentner abgesichert, in das wirkliche Leben entlassen. Der norwegische Staat zahlt ihnen die eigene Wohnung in Oslo, einer Stadt, die ihnen fremd ist. Der Sozialarbeiter Frank soll ihnen beibringen, sich der neuen Situation zu stellen - auszugehen, im Supermarkt einzukaufen, zu telefonieren. Wenn schon diese einfachen Aktivitäten Mut erfordern, wird das Leben schnell zum Hindernislauf. Die neue Situation ist für beide eine echte Herausforderung. So versuchen sie zunächst, alle scheinbar bedrohlichen Erfahrungen zu meiden. Elling und Kjell Bjarne leiden unter verschiedenen Zwängen und lassen sich eine Menge einfallen, um ihre Komplexe zu verdrängen. Nach anfänglichen Katastrophen - so einer astronomisch hohen Telefonrechnung für Telefonsexanrufe von Kjell Bjarne - und einigen kleineren Desastern gewinnen die Freunde jedoch Spaß an ihrem neuen Leben. Elling, der - so Bruno Winzen, der ihn spielt, - eine sehr enge Bindung zu seiner Mutter hatte und zu Beginn noch schüchtern und zurückgenommen wirkt, öffnet sich mehr und wird freier. Er verfügt über viel Fantasie und entdeckt seine Liebe zur Poesie. Er schreibt Gedichte, die er - anonym natürlich - in Sauerkrautpackungen versteckt und so in Supermärkte einschmuggelt. Kjell Bjarne ist gutmütig, impulsiv und plant so gut wie nie im Voraus. Dann trifft er im Treppenhaus Reidun, eine junge, sturzbetrunkene und hochschwangere Nachbarin. Sie weiß ihn zu nehmen und Kjell Bjarne hat die Frau seines Lebens gefunden. Er kümmert sich fürsorglich um sie und übernimmt wohl erstmals in seinem Leben Verantwortung für einen anderen Menschen.
Matthias Gehrt inszenierte Elling auf der großen Bühne des Stadttheaters Mönchengladbach. Die Spielfläche steigt von vorn nach hinten leicht an. In der Mitte ein runder, gelber Schaumstoffteppich, auf dem zwei Betten, zwei Hocker und ein Katzenkorb stehen. Die ansonsten dunkle Bühne, die feindliche Außenwelt, ist mit schwarzem Split bedeckt. Jeder Schritt ist leicht unsicher und knirscht. Tragende Musik begleitet die beiden Protagonisten, als sie mit ihren Koffern im Zeitlupentempo höchst zögerlich ihr neues Heim betreten. Elling kommentiert: „Wir sollen in die Wirklichkeit eintreten.“ Bruno Winzen spielt Elling äußerst beeindruckend. Einen zunächst sehr unsicheren Mann, der aber mit Witz und Intelligenz die Welt betrachtet. Adrian Linke gibt famos Kjell Bjarne, den eher langsamen, gutmütigen Kumpel mit Herz. Ronny Tomiska ist der Sozialarbeiter Frank, mit Lederjacke und langen, zu einem Zopf gebundenen Haaren. Burschikos und freundlich versucht er, die beiden zu animieren, unter Leute zu gehen und sich an feste Abmachungen zu halten. Er geht mit ihnen ins Kino und essen. Nach und nach erfährt man, dass auch Franks Leben nicht sorgenfrei ist. So verlässt ihn seine Frau. Warum er dann aber auf Norwegisch Gedichte vorlesen muss, die niemand hier versteht, bleibt ein Rätsel. Jannike Schubert überzeugt in mehreren kleineren Rollen: als zupackende Ärztin in der Psychiatrie, als flotte Kellnerin und besonders als Reidun.
Am Schluss warten die beiden Freunde auf die Geburt von Reiduns Kind. Die Erleichterung, als dieses endlich da ist - „Es ist ein Mädchen!“ -, macht sich bei Kjell Bjarne Luft, als er ruft: „Du bist ein Kumpel, Elli. Wir sind Freunde.“
Warum rührt einen dieser Abend so an? Wenn unsere beiden „Helden“ zunächst an alltäglichen Dingen wie Telefonieren scheitern, ist das komisch und oft skurril. Dann aber verfolgen wir mehr oder weniger gerührt mit, wie sie langsam ihr neues Leben meistern und zwar auf ganz verschiedene Weise.