Übrigens …

Mein Vater und seine Schatten im Theater Münster

Ein bundesdeutsches Leben

Michael wird seine Erinnerungen verlieren. Stück für Stück zwar, aber unerbittlich wird er hingezogen werden in den Strudel des Vergessens. Seine Kinder und die Enkelin versuchen, ihm sein Leben wieder erfahrbar zu machen, das beginnende Dunkel zu durchbrechen.

Martin Heckmanns schreibt darüber in Mein Vater und seine Schatten als Auftragswerk für das Theater Münster. Dabei bildet das Thema Demenz nur den äußeren Rahmen für einen Gang durch die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Denn Michael „Michel“ bildet einen recht typischen Lebenslauf eines sich zum Linksintellektuellen entwickelnden Kriegskindes ab. Heckmanns schildert eindringlich, wie Michael gequält wird von Fragen nach der Rolle seines Vaters im Nationalsozialismus, wie er von der Mutter keine Antworten erhält. Deshalb wird er Künstler und drückt in der Malerei Ängste und Hoffnungen aus. Michael wird zum Fragenden und studiert die Theorien der Frankfurter Schule. Aber auch im Deutschen Herbst radikalisiert er sich nicht. Dann taucht er - ewiger Antwortsuchender - ein in die Friedensbewegung und ist auch in Wackersdorf dabei, um gegen Atomkraftwerke zu protestieren. Das klingt alles nach einem quasi „vorbildlichen“ Leben, geprägt von gesellschaftspolitischem Engagement. Ist Michael nicht nur Prototyp, sondern auch leuchtendes Beispiel?

Hier kommen dann persönliche Aspekte ins Spiel, die Heckmanns einfließen lässt. Denn Michael ist sein Vater. Der Künstler, der seinen Kinder wegen seiner Arbeit wenig Beachtung schenkt. Er war aber auch der Ehemann, der seine Frau in ihrer Entfaltung beschneidet, um sich ungehindert seiner politischen Arbeit hingeben zu können.

Eine ganz persönlich-biografische Auseinandersetzung mit seiner individuellen Familiengeschichte mischt der Autor mit einer Lehrstunde über die Historie außerparlamentarischer Bewegungen in der Bundesrepublik Deutschland. Das gerät dort besonders überzeugend, wo die Kinder das Leben des Vaters in Zweifel ziehen, von ihm aber keine Antworten mehr bekommen werden. Und so werden sie - wie ihr Vater - immer Fragende bleiben.

Eher behindernd ist die Benutzung vieler Zitate von Ernst Jünger bis Ulrike Meinhof. Die wirken eher wie eine recht aufgesetzte Zementierung von vorgeblichen Lebensmaximen Michaels.

Frank Behnke baut mit Mein Vater und seine Schatten weiter an seiner konsequent auf die Beleuchtung der bundesrepubikanischen Geschichte ausgerichtete Spielzeit. Martin Heckmanns hat für ihn einen weiteren imponierenden Teil hinzufügt. Behnke und sein Team setzen die Vorlage intensiv um. Einen sehr großen Anteil daran hat das Bühnenbild Peter Sciors: Viele Leinwände bestücken das Atelier Michaels. Das ist der Ort, an dem er arbeitete und viel von seiner Seele preisgab. Doch die Leinwände sind weiß. Scior schafft so ideale Projektionsflächen für die Familienauseinandersetzung Denn Michael kann nicht mehr arbeiten. Er hat vergessen, wie das geht, hat vergessen, was er sagen möchte. Und genau deshalb ist das genau der richtige Ort für seine Kinder. Die wollen Geschichte erzählen und Fragen aufwerfen.

Hubertus Hartmann ist Michael, der einst so dominierende Patriarch. Er ist nur noch ein Schatten seiner selbst und stellt unsicher tastende Fragen, die die Dekonstruktion seiner Persönlichkeit unterminieren. Jonas Riemer ist Martin, der Sohn, der Fragen stellt und seinen Vater in die Vergangenheit führt. Riemer ist das Alter Ego des Autors - ein unsicherer und behutsamer Inquisitor. Ihm assistieren Rose Lohmann und Lea Ostrovsky. Außerdem zugegen ist Daniel Fries als Martins Bruder Marcus. Der schlüpft sensibel und einfühlsam in die Rolle des Vaters, wenn dessen Vergangenheit aufgezeigt wird.

Zusammengehalten wird diese erfolgreiche Uraufführung vom ausgeklügelten Konzept der Musikauswahl Leonardo Mockridges, die immer wieder Akzente setzt und die Handlung durch Zäsuren gliedert - ein absoluter Glücksgriff.

Das Premierenpublikum feiert alle Beteiligten - besonders den Autor - mit stehenden Ovationen. Frank Behnke kann in dieser Spielzeit erneut punkten.