„Oh, dies ist wieder ein glücklicher Tag, dies wird wieder ein glücklicher Tag gewesen sein! Trotz allem.“
Das Bild, das der Dramatiker und Nobelpreisträger Samuel Beckett an den Beginn seines Zweiakters Glückliche Tage setzt, ist plastisch. Winnie sitzt bis zur Taille in einem Erdhügel inmitten einer Grasebene fest. Wie es dazu kam, wird nicht erklärt.
In diesem Klassiker des absurden Theaters geht es um einen sonderbaren Zustand zwischen Leben und Tod. Winnie steckt fest und ihr Mann Willie, den man fast nur stumm und apathisch erlebt, hat ihrem Redeschwall nichts entgegenzusetzen. Winnie ist gefangen, kann nichts unternehmen, nichts Neues entdecken. Aber sie hat ihre Erinnerungen, die ihr sagen, dass es an jedem neuen Tag keine Überraschungen oder Veränderungen geben wird. Trotzdem redet Winnie in einem fort und wiederholt ständig ihr Mantra: Es muss „wieder ein glücklicher Tag werden“. Sie ist die zentrale Figur des Stückes, die unbeirrt versucht, Optimismus und Überlebenswillen zu verbreiten, während Willie lethargisch versucht, irgendwie den Tag zu überstehen. Winnies Motto, es passierte nichts Schlimmes, wenn sich nichts veränderte, scheint bei Willie auf taube Ohren zu stoßen.
Caroline Stolz, verantwortlich für die Regie, sieht durchaus einen Zusammenhang zwischen den Folgen des sogenannten Lockdowns in den Theatern und dem vermehrten Spielen von Beckett: „Ich kann mir eigentlich keine Zeit vorstellen, in die seine Stücke besser hineinpassen würden. In Glückliche Tage geht es um Isolation, um den Umgang mit zu viel Zeit. Die Figuren sind in der Vereinzelung miteinander verbunden.“
In der aktuellen Neusser Inszenierung wird der Erdhügel durch einen Plexiglaskasten ersetzt. in dem Winnie ständig umhergeht, ein gut gewähltes Bild für Isolation - gerade in Coronazeiten. Zugleich aber auch gut die Entfremdung des Paares zeigend. In einem grauen Sack hat sie alle scheinbar für sie essentiellen Dinge des alltäglichen Lebens - Zahnpasta, Zahnbürste, Spiegel. Winnie zeigt sie dem Publikum durch pantomimische Andeutungen. Der Kasten wird hell beleuchtet, der Rest der Bühne bleibt überwiegend im Dunkeln. Man erkennt gerade so Willie, der - zunächst mit einer heruntergezogenen Unterhose kämpfend - über den Boden kriecht. Auch wenn er nur wenig und dann eher einsilbig spricht, ist er ein wichtiger Gegenpart zu der ständig redenden und sich dabei wiederholenden, im Kasten herumzappelnden Winnie. Caroline Stolz hat in Antonia Schirmeister eine herausragende Winnie gefunden. Sie beherrscht souverän diese Wortkaskaden, unterstreicht vieles pantomimisch und ist zweifelsohne das Zentrum des Stückes, aber auch des Abends. Interessant auch, dass es - entgegen der Tradition - eine junge Frau ist. Sie trägt ein langes, weißes Herrenhemd mit schwarzem Schlips, schwarze Socken und einen schwarzen Zylinder. Entspricht also in keiner Weise der Klischee-Winnie, die man bisher kannte. Was aber der Aussage des Abends keinen Abbruch tut. Ulrich Rechenbach, Willie, hat zwar wenig Text, erfüllt aber durchaus durch Bewegungen und sein intensives situatives Spiel den Gegenpart zu Winnie. Ihrer beider Verbindung ist stark, trotz scheinbar fehlender gleichwertiger Kommunikation. Sie treten auf der Stelle, jeder auf seine Art, aber sie tun es beide und immer irgendwie mit Blick auf den anderen.
Ein außergewöhnlich fesselnder Abend, den man nicht versäumen sollte. Zu Recht gab es lang anhaltenden Applaus und Standing Ovations.