Grandmothers Of The Universe
Es ist ein hochsommerlicher Spätnachmittag am Schwanenspiegel. Um die Seebühne herum schweben dicke weiße Ballons, spiegeln sich zu Lampions verzerrt in der kräuselnden Oberfläche des Schwanen-Spiegels. Es ist der letzte Tag des Sommerfestivals der Künste, das heute zu einer biografischen Recherchereise einlädt.
Auf der fast leeren Bühne stehen ein Keyboard und zwei E-Gitarren bereit für Live-Musik, während wir über unsere Kopfhörer nachdenkliche weibliche Stimmen sagen hören: „Ich denke oft über die Unsichtbarkeit nach… über das Verschwinden der Namen der Mütter“ oder die alltägliche Unsichtbarkeit der Mütter und Großmütter in aller Welt, im Iran, in Jordanien, in Palästina, in Athen: für sie alle war das Zuhause ein „Gefängnis“ - auch ohne Corona.
Dann tanzen mit transparent-farblosen Gymnastikbällen vier Frauen auf die Bühne: vier Künstlerinnen, geboren und aufgewachsen in Griechenland, Palästina und Deutschland. Scheinbar ans Publikum richten sie die Fragen nach den Mädchennamen der Großmütter oder gar Urgroßmütter, nach der Anzahl ihrer Kinder oder - ein wenig heikler - ihrer Sexualpartner, nach dem Grund ihrer Eheschließung, war es Liebe? Oder nach Leben und Leiden in Kriegen und Diktaturen.
Wir brauchen nicht zu antworten, sie selbst geben uns Antworten aus der Recherche ihrer persönlichen Frauenbiografien. Was immer sie herausfanden über ihre Mütter und Großmütter, die sie zu retten versuchen vor der Unsichtbarkeit und dem gänzlichen Verschwinden, sie bieten es als Performance aus Tanz, Lied und Erzählung. Ein buntes Kaleidoskop ergibt sich daraus, bewusst feministisch hinterfragt, doch ohne Moralin. Wir hören von der Oma, die ohne Führerschein jahrzehntelang in Athen Taxi fuhr und die sich dann plötzlich - scheinbar zufällig - während der Aufführung am Handy der Enkelin auf der Bühne meldet. Ein netter Gag. Oder von einer anderen Oma, die es mit 65 schaffte, „abzuhauen“, sich scheiden zu lassen und neu anzufangen.
Dabei ziehen die Frauen immer wieder die autobiografischen Traditionslinien ins eigene Leben, zum Auf-und-Ab ihres gegenwärtigen Verhaltens als Frau, als Mutter, als Feministin.
Nach einem Wutausbruch von Bianca Künzel darüber, dass die „Menschen so sind, wie sie sind“, setzen sich lächelnd die Musikerinnen Jamila Al-Yousef und Carina Sperk an die Instrumente und singen auf Arabisch ein liebevoll-beschauliches Schlaflied von den Mädchen, die zusammenhalten und gemeinsam stark sind, während die Tänzerin Phaedra Pisimisi in ruhigen Bewegungen dazu am Bühnenrand tanzt.
Am Ende tritt Jamila an den Bühnenrand und berichtet in einem eigenen Song stimmstark und emotional von ihrer gleichnamigen Großmutter, „die nicht wusste, dass Sex auch für Frauen da ist“ und „von der keiner weiß, wie sie aussah“, die ihr dennoch im Traum erschien und sie mitnahm zu einem Flug ins All: es kam zur Begegnung mit der Großmutter im Universum. Gleichsam der Titelsong der Performance. Dazu stiegen die weißen Ballons in den blauen Sommerhimmel. Romantik pur.
Die vier temperamentvollen Künstlerinnen brachten ihr Anliegen anrührend und überzeugend auf die Bühne, wenn auch die Übergänge nicht immer reibungslos wirkten. Das allerdings musste auch noch nicht sein, denn ganz bewusst wurde die Aufführung nicht als „Uraufführung“ verstanden, sondern als „Zwischenstopp“ eines Forschungsprojektes, das seit einem Jahr läuft und fortgesetzt wird und das eigens für das Asphalt-Festival zu dieser Audioperformance zusammengestellt wurde. Im Gespräch nannte Bianca Künzel es eine „Werkschau“, die Einblick gewähren soll in die Arbeit.
Das Publikum dankte mit herzlichem Applaus für ein rundum gelungenes Wagnis.