Drei krasse Frauen greifen auf und an
Schauerwetter ist angesagt, doch Petrus meint es gut mit der Eröffnung des „asphalt auf See“: er schickt sogar ein paar Sonnenstrahlen auf die schwimmende Seebühne am Rande des Schwanenspiegels, die von den Theatermachern Christoph Seeger-Zurmühlen und Bojan Vuletic an die längst vergessene Bootsanlegestelle gezaubert wurde. Der verwitterte und völlig überwucherte ehemalige Zugang wurde mit coronagerechten Stuhlgruppen in eine Zuschauerterrassse verwandelt und bietet Platz für 100 Personen. Ein wahres Idyll gleich neben einem der verkehrsreichsten Plätze Düsseldorfs. Elf Tage lang werden 23 Künstlergruppen in 40 Aufführungen der unterschiedlichsten Kunstformate mit Phantasie und Mut ihre kreativen Impulse gegen die Kultur-Öde der Pandemie setzen.
Während das Publikum sich gutgelaunt arrangiert, verharrt auf der 8 x 6 Meter großen Seebühne bereits eine Gestalt in grünschimmerndem Meerjungfrauen-Outfit, uns regungslos den Rücken zugewandt. Dann ertönt leise Musik über Kopfhörer, die uns von dem innerstädtischen Alltagslärm abschotten, und die Figur belebt sich, wendet sich uns tänzelnd zu und bekennt ihre „incomprehension“, mag meinen das Unverständnis, das sich ergibt aus den unterschiedlichen Kulturen, ihrer „Diversität“ als Osteuropäerin in Westeuropa, als Ungarin in Berlin. Sie bringt gleich ein Beispiel: auf Ungarisch lässt sich wunderbar fluchen. Da vermutlich kaum jemand ihr vulgäres Beispiel versteht, hilft sie uns auf die Sprünge, wenn auch die deutsche Version nicht salonfähig ist: „ich hab mich so richtig eingeschissen“. Scheinbar ratlos stellt sie die Frage: Was kann, soll, muss man einem deutschen Publikum erzählen?
Nach dieser Eingangsszene der gebürtigen Ungarin Adrienn Bazso - mit der provokativen Titelfrage nach dem Sex auf der Bergspitze - wissen wir Einiges: es geht um symptomatische Sprache, um biografisches Theater, um politisches Theater, um Bewegung, um Grenzüberschreitung.
Zwei weitere Frauen, zu Kunstfiguren verfremdet, springen auf die Bühne: Panni Néder, die Autorin und Regisseurin der Performance als rot-schwarzer Vamp und die deutsche Künstlerin Julia Bihl mit Bärtchen als Macho-Cowboy.
Eine aberwitzige Sprachkaskade beginnt. Mal chorisch, mal solo, mal singend, mal dozierend wechseln die bekennenden Feministinnen von Sprache zu Sprache, springen zwischen Zeiten und Orten, kommentieren politisch brisante und private Themen, dokumentieren Banales und Peinliches. Dabei kommen sie immer wieder auf Viktor Orban, nennen seine Politik diktatorisch, verlogen und rassistisch und hüpfen dann von gesellschaftspolitischem Kabarett blitzschnell zu ganz privaten Konflikten, zur eigenen Verstellung vor konservativer Familie und linken Freunden, erwähnen scheinbar beiläufig Perversitäten und verharmlosen Geschmackloses mit skurriler Gestik und akrobatischer Bewegung oder verbrämen es mit angeblich autobiografischer Authentizität. Um dann alles zurückzunehmen mit dem Einschub: „ Instruction. Break. Der Text stimmt nicht.“
Doch bei aller gewitzten Künstlichkeit liegt über dem Ganzen eine berührende Ehrlichkeit, die durch die unmittelbare Ansprache ans Publikum verstärkt wird. Wiederholt tritt eine Performerin vor die Bühne, stellt eine mehr oder weniger ernstzunehmende Frage, sei es zum Sex, zum Moment vor dem eigenen Tod oder zu alltäglichem Verhalten. Und das Publikum spielt mit: immer gibt‘s eine Antwort, immer wird sie abgewartet und eingebaut in Text und Bewegung dieser überzeugenden, humorvollen und anregenden Performance.
Am Ende gibt es herzlichen Applaus für ein ungewöhnliches Theatererlebnis.