Stadtgeschichte ganz nah: dramatisch, authentisch
Seit zwölf Jahren spielt das Asphalt-Festival an Industrie- und Gewerbestätten: dort, wo’s asphaltiert ist. Doch Corona macht in diesem Jahr ein idyllisches See-Festival daraus. Bis auf eine Aufführung. Mit der Performance Aktion:Aktion! geht es zurück auf den harten Asphalt des Jürgensplatzes, dem Innenhof des Düsseldorfer Polizeipräsidiums, dem Originalschauplatz der historischen Ereignisse, die die beiden Festivalleiter Christoph Seeger-Zurmühlen (Konzept und Regie) und Bojan Vuletic (Musikalische Leitung und Komposition) mit vier Schauspieler*innen und knallharter Live-Musik beeindruckend auf die Bühne bringen. Wobei, genau besehen, der gesamte Platz zur Bühne wird. Mittendrin gibt es zwei bescheidene Podeste und einen dekorativen Sockel für Polizeioberstleutnant Franz Jürgens, den Helden des Stückes und des Platzes, dessen historische Heldentaten allerdings nicht zweifelsfrei bleiben. Dazwischen sitzen wir verstreut auf Drehhockern mit Kopfhörern, sodass wir dem Spiel nach allen Seiten folgen können, das trotz des rein dokumentarischen Stoffes höchst dramatisch, eben als Aktion:Aktion! präsentiert wird.
Worum geht es?
Düsseldorf im Frühjahr 1945: Die Stadt ist umzingelt, der „Ruhrkessel“ der Alliierten kommt näher, die Amerikaner stehen schon in Mettmann, sie drohen die Stadt „sturmreif“ zu bombardieren. Zudem hatte Hitler bereits am 19. März den „Nerobefehl“, der die Taktik der „verbrannten Erde“ vorsah, vor den heranrückenden alliierten Truppen auch auf das deutsche Reichsgebiet ausgedehnt. Es galt, die Stadt vor der zweifach drohenden totalen Zerstörung zu retten.
Zwei Widerstandsgruppen, Handwerker und Akademiker, schließen sich zur „Aktion Rheinland“ zusammen, rufen zum aktiven Widerstand auf, gewinnen den Leiter der Schutzpolizei Franz Jürgens für ihre Pläne, schaffen es, sich nach Mettmann durchzuschlagen und die Amerikaner zur kampflosen Einnahme der Stadt zu bewegen.
Doch inzwischen tobt im Polizeipräsidium der Kampf um die Macht, fünf Widerständler, darunter Franz Jürgens, werden bestialisch misshandelt und standrechtlich erschossen, bevor die Befreier die Stadt am 17. April 1945 erreichen.
Ein hochdramatischer Stoff, der schon 1946 recherchiert und dokumentiert wurde. Dabei wurde die Frage nach der Bedeutung des Putsches durchaus kritisch gestellt, wenn sie auch bis heute kaum zu beantworten ist.
Mitreißend und berührend bringen die vier Schauspieler*innen das Geschehen in die Gegenwart. Rasant wechseln sie die Rollen: vom Täter zum Opfer, vom Zeitzeugen zum Chronisten, vom Jugendlichen zum Greis. Dabei helfen die blitzschnell gewechselten Kostüme zur Orientierung. Vor der kasernenhaften Fassade des 1933 im Monumentalstil erbauten Präsidiums hallen die Schreie, Befehle und Parolen unter Paukenschlägen und Alarmgeheul auf uns nieder. Doch schon im nächsten Moment werden wir von monoton chorischem Sprechen in eine Bunkerszene versetzt, wo sich ein junges Pärchen verliebt und deshalb dem nächsten Angriff entgegenhofft.
Dann wieder folgen dokumentarisch nüchterne Einschübe im Erzählmodus. Wir erfahren eher en passant, dass Franz Jürgens bereits 1933 in die NSDAP eintrat, sich 1944 freiwillig zur SS meldete und erst in der letzten Phase des Unrechtsregimes, in dem er eine steile Karriere hinlegte, zu den Widerständlern stieß. Die Frage nach der Motivation dieses Entschlusses wird im Stück nicht erörtert. Sie ist nicht dokumentiert. (Sie wurde erst in der anschließenden Publikumsdiskussion gestellt.) Die Figur wird eindrucksvoll, in Nazi-Uniform mit Ledermantel, von Alexander Steindorf gegeben. Vielleicht liegt in der Kostümierung durchaus eine Relativierung persönlichen Heldentums.
Anrührend, im Vierzigerjahrekleidchen bringt Anna Magdalena Beetz, eine wahre Verwandlungskünstlern, die persönlichen Erlebnisse einer Zeitzeugin zu Gehör, bevor überall auf dem Platz riesige weiße Fahnen gehisst werden und das Geschehen auf einem der Podeste ein wenig sentimental mit einem opulenten Lilienbouquet und der authentischen Grabrede für die Toten endet.
Nach einem Moment der Stille applaudierte das Publikum begeistert. Viele blieben zur anschließenden Diskussion, bei der sich die Enkelin eines der Widerständlers ergriffen und dankbar zeigte.