Genug ist genug
Jetzt reicht‘s ! Finalmente! Antonia und die anderen Frauen haben die Schnauze gestrichen voll von ständig steigenden Preisen. Ohnehin gebeutelt von strangulierenden Hypothekenzinsen und das stetige Ringen um ein Leben am Existenzminimum platzt ihnen der Kragen: Ganz geschwinde wird der Supermarkt geplündert und alle tragen nach Hause, was ihnen in die Finger kommt. Schröpft die Unterdrücker, wo ihr es könnt. Antonia ist voll bei der Sache, ihre eher zögerliche Freundin Margherita eher nicht. Denn die beiden haben ein, nein mehrere Probleme. Zum einen sucht die Polizei nach den Spuren der Plünderei, zum anderen wären auch ihre Ehemänner gar nicht einverstanden mit solcher Art radikalem Widerstand gegen das kapitalistische System. Das gilt besonders für Antonias Ehemann Giovanni. Denn er versucht sich abzugrenzen vom „Lumpenproletariat“. Obwohl selbst der Arbeiterklasse zugehörig, sieht er sich durch seine Gesetzestreue besser gestellt.
Um ihr Vorgehen zu verheimlichen, verstricken sich Antonia und Margherita immer weiter in Lügen, erfinden Schwangerschaften, die sie ihren Männern bedenkenlos einreden. So schraubt sich das Geschehen in rasantem Tempo mit immer schrilleren Tönen einem furiosen Finale entgegen.
Dario Fo schrieb Bezahlt wird nicht! im Jahre 1974. Und das merkt man dem Stück an - auch in der Inszenierung Tanja Weidners am Wolfgang-Borchert-Theater Münster. Etwas antiquiert wirken klassenkämpferische Parolen und starre Klasseneinteilungen auf uns heute. Da nützt es auch nichts, die Corona-Krise einfließen zu lassen und deren Auswirkungen auf das Wirtschaftsleben. Das bringt allenfalls ein paar Zusatz-Lacher.
Was den Abend dennoch absolut sehenswert macht, ist Tanja Weidners Gespür für Dario Fos Farce, deren sich bis zur Absurdität aufschwingenden Dialoge sie punktgenau in Szene zu setzen weiß. Da stimmen denn auch Tempo und Rhythmus perfekt. Weidner zeigt große Übersicht über das ausufernde Geschehen, dirigiert ihr Personal auf das Feinste. Und ihr zur Seite steht ein Ensemble, das vor Spielfreude und überbordender Energie nur so sprüht.
Allen voran ist Rosana Cleve eine packende, tatkräftige Antonia, die schlichtweg an keiner Stelle um eine Ausrede, eine neue Idee verlegen ist. In nichts nach steht ihr Florian Bender als Giovanni, der ohne mit der Wimper zu zucken Suppe aus Kaninchenköpfen kocht, weil es nichts anderes zu essen gibt und gleichzeitig ungerührt akzeptiert, dass aus der Fruchtblase einer Schwangeren eine Salatsauce austritt. Er schafft es, den farcehaften Charakter von Fos Text punktgenau erfahrbar zu machen.
Johannes Langer gibt als Luigi den perfekten, profanen Proletarier. Den härtesten Job an diesem Abend hat sicher Markus Hennes. Er findet sich plötzlich in der Rolle der Margherita wieder, denn die eigentlich vorgesehene Monika Hess-Zanger hatte während der Endproben einen Bühnenunfall. Und so muss er Margherita sein. Das ist er mit viel Nonchalance. Das Textbuch auf der Bühne gehört ganz selbstverständlich dazu und auch die Souffleuse wird offen einbezogen. Und dass er der Margherita durchaus Züge einer schrillen Drag-Queen verleiht, hätte Dario Fo sicher gefallen.
Alle anderen Rollen wollte Fo von einem Schauspieler verkörpert sehen. Und wer Jürgen Lorenzen gesehen hat, weiß warum. Wie er mit stoischer Mimik den staatstragenden Carabiniere und zugleich den im Herzen linksintellektuellen Kommissar verkörpert - das ist einfach großartig.
Antonia, Margherita und ihre Männer lassen sich nicht unterkriegen, sie begegnen der Krise mit unbedingtem Überlebenswillen und einem Erfindungsreichtum, der stellenweise an kreativen Wahnsinn grenzt. Mit Witz und Energie meistern sie den absurden Parcours ihres Alltags und hoffen auf das erlösende, finale Wunder, wie es nur die Komödie schenken kann.
Das bringt das Borchert-Theater toll rüber. Und das Publikum ist schwer begeistert - ein gelungener Einstieg in eine schwere Saison, ein Abend, der viel Spaß macht.
Doch eine Frage darf gestellt werden. Warum werden so viele bezaubernde Ideen, soviel Kraft und wunderbare Schauspielkunst in ein Stück investiert, das doch besser von Mottenkugeln und Lavendelsäckchen geschützt, als historisches Dokument aufzubewahren wäre?