Schwarzwasser im Köln, Schauspiel

Als Ibiza seine Unschuld verlor

Man erinnert sich des Skandals, der gerade einmal 16 Monate her ist. Elfriede Jelinek lässt dazu gleich Schwarzwasser fließen. Schmutzwasser, das politische Ränkespiele meist zurücklassen. Namen fallen nicht, aber die Kombination einer spanischen Insel namens Ibiza mit einer angeblich russischen Oligarchen-Nichte und eines recht depperten österreichischen Politikers und Vizekanzlers machten den Skandal zur Posse, besser: die Posse zum Skandal. Versprach Herr Heinz-Christian Strache - so sein Name - doch der zweifelhaften Dame eine Art Herrschaft über die Medienlandschaft Österreichs. Und um die Posse völlig der Lächerlichkeit preiszugeben, wurde ihr auch noch offeriert, die Seen und Flüsse des Alpenlandes zu privatisieren. Wenn seine Partei entsprechend „belohnt“ würde. Die Posse platzte, weil heimlich gefilmt - und der Politikapparat Österreichs brach fast zusammen.

Elfriede Jelinek schlug ihrerseits zu und verwurstete die unappetitliche Story zu einem von ihr gewohnten Text-Chaos. Keine Dialoge, und wer wen spielt, ist unerheblich. In Wiens „Burg“ fand bereits im Februar 2020 die Uraufführung statt. Ehe nun Stefan Bachmann, Kölns Schauspiel-Chef, mit der Deutschen Erstaufführung folgen konnte, musste er nicht nur Monate der Pandemie abwarten. Er musste sie auch völlig neu erfinden. Nun freilich war es soweit - im Depot des Schauspiels, als Wanderung durch dessen Innenleben.

Was er in allen möglichen Räumen, Ecken, Lastenaufzügen und Technikräumen in Szene setzt, ist nicht nur spannend und variantenreich. Bachmann lässt damit auch Jelineks Textgebirge zwischen Komik und Sarkasmus, Wort- und Sinnspielen changieren. Dabei scheint, außer einem die sieben Szenen bestimmenden Chaos, alles zufällig. Nur eines ist klar: Die Rechten, die Werte-Verwurster und Polit-Egoisten, kriegen ihr Fett ab. Mal unmittelbar, mal indirekt. Das baut Spannung auf. Aber auch Verwirrung vermag sich auszubreiten.

Die Regie führt uns, das kleine Häuflein Zuschauer, in sieben Gruppen mit jeweils sechs Personen durch das Gelände der einstigen weltweit agierenden Kabelfabrik Felten und Guillaume. Ist das schon ein kleines Abenteuer, das durch dunkle Gänge zu den einzelnen Spielstätten führt, so ist das dem Jelinek-Text gemäße Auseinanderklaffen der Spielstätten und ihrer Szenen verblüffend genug.

Alles neu machen“, raunt eine Stimme über eins von sieben TV-Geräten, auf denen die Portraits der sechs agierenden Akteure des Abends wie starr und eingefroren wirken. „Wir wollen wieder gefallen. Das ist zu schaffen“. Zu schaffen heißt: Die „Fremden“ wieder „rausschaffen“. Nichts ist eindeutig, aber der Sinn ist klar.

Dann wird es, vor und aus einem Behinderten-WC heraus tönend, monologisch. Da perlen die Wortspiele nur so aus dem Mund von Jörg Ratjen, der im Damen-Badeanzug und mit der typischen Jelinek-Frisur in Rätseln daherkommt. Da ist Ibiza auf dem Klo angekommen. Aber „rückgängig“, so die Jelinek-Figur, „können wir es nicht machen“.

Und nochmal taucht die besagte „Insel“ auf: „Wir sind reif für die Insel“. „Alles, was ich sage, hab‘ ich schon anders gesagt“, tönt Peter Knaack, der im Bademantel aus Heizrohren steigt und, wütend, aufgebracht und grandios, das „Opfer“ als „schön“ bezeichnet. Opfert man sich doch als Populist, ist „selbst das Opfer“. Sarkastischer geht’s kaum, wenn er sich in eine enge Kiste mit Rädern klemmt und in ihr hin und her rattert.

Dann dröhnt es, tief und wummernd, in unseren Ohren: Wir nähern uns einem Raum, der einer Kopie der Video-Szene auf Ibiza entspricht, die den Skandal um den FPÖ-Mann Stracke ausgelöst hat. Es zuckt und blitzt. Alles ist aus Pappe, aber realitätsnah.

Draußen dann, auf dem Weg in den Container-Spielraum namens „Grotte“, grüßen riesige Graffitis mit Jelinek-Sprüchen an den Fabrig-Wänden. „Es ist immer noch Zeit für die Disco danach“, gräbt sich ebenso in unsere Augen wie „Eintritt macht frei“. Man weiß, was gemeint ist.

In der „Grotte“ wälzt sich und kämpft, brüllt und grinst schließlich Lola Klamroth. „Die müssen wir schnell wieder los werden“, gibt sie von sich, es sind „fremde Bazillen“. Vera Flück, auf einem Mini-TV auftauchend, rülpst dazu immer wieder. „Schädlich sind andere“, macht uns, im Sand und Wasser unter dem Zuschauern-Block planschend, Tom Radisch schließlich endgültig klar.

Nichts passt erzählerisch oder gar dramatisch wirklich zusammen. Doch die Szenen, meist vieldeutige Monolog-Passagen voller Ironie, Sarkasmus und Häme, direkt an uns, die jeweils sechs Besucher einer Gruppe gerichtet, sind eindringlich genug. Und unterhaltsam sind die zwei Stunden im Labyrinth der alten Kabel-Fabrik, fürs Theater zum „Depot“ mutiert, allemal.