Tropfen auf heiße Steine im Erholungshaus Leverkusen

Eskalierende Machtspiele

In eine schwarze Wand ist ein schwarzes Fenster eingelassen. Es gibt den Blick frei auf zwei schwarze Stühle und einen schwarzen Tisch. Zwei Männer in schwarzen Anzügen treten auf. Auch der Humor, der selten, aber auf intelligente Weise an diesem knapp sechzig Minuten kurzen Abend aufblitzt, ist tiefschwarz. „Mich würde das ganz krank machen, dauernd eine schwarze Wand anstarren zu müssen“, wird Leopold, der Besitzer dieser schwarzen Wohnung bald sagen. Und der Zuschauer wird sich bald fragen, ob Leopold nicht längst krank ist. Doch der Reihe nach:

Rainer Werner Fassbinder, den meisten vor allem als Vertreter des Neuen Deutschen Films in Erinnerung, hat neben seinen mehr als vierzig Spielfilmen auch eine Vielzahl von Theaterstücken geschrieben. Ganze neunzehn Jahre alt war er, als er das Beziehungs- und Schwulen-Drama Tropfen auf heiße Steine verfasste. Im Jahre 1964 war der § 175 StGB noch in Kraft und Homosexualität in weiten Teilen der Bevölkerung skandalisiert. So war die Zeit noch nicht reif für diesen Stoff, der zudem – in François Ozons Verfilmung aus dem Jahre 2000 ganz explizit – auch mit sadomasochistischen Motiven spielt. Erst drei Jahre nach Fassbinders Tod wurde der Text in München uraufgeführt. Heute dagegen kann ein Drama über Homosexualität nicht mehr provozieren. Es müssen andere Motive im Vordergrund einer Inszenierung stehen. Philipp Arnold hat am Deutschen Theater Berlin die Qualen gefunden, die jede Beziehung unabhängig von der sexuellen Orientierung ihrer Protagonisten verursacht, wenn sie nicht auf Liebe, sondern auf Macht, Sex und eine gewisse Verdruckstheit gebaut ist.

Skizzenhaft, fast holzschnittartig hat Arnold das Drama am Deutschen Theater Berlin in Szene gesetzt. Dessen Inhalt ist mit wenigen Worten beschrieben: Der ältere Leopold lädt den jungen Franz nach einem zufälligen Treffen zu sich nach Hause ein. Die beiden unterhalten sich; schnell gehen die Fragen Leopolds ins Persönliche. Die beiden Männer schlafen miteinander. Franz, der eigentlich mit Anna liiert ist, zieht bei Leopold ein. Was abläuft, ist das klassische Missverständnis so mancher konventionellen Ehe: Kaum ist die sexuelle Begierde gestillt, wird einer, in diesem Falle Leopold, zum Tyrannen. Der andere, in diesem Falle Franz, wird abhängig, unterwürfig und zum niederen Dienstleister. Doch im Drama tauchen unvermittelt und nahezu gleichzeitig die Ex-Partnerinnen von Franz und Leopold auf. Das Kuddelmuddel der gegenseitigen Beziehungen wird heillos und endet, nun ja, Fassbinder bezeichnete es als „pseudotragisch“. Er sprach auch von einer Komödie. Als solche muss man die Liebe wohl betrachten, wenn man den Kreislauf immer wieder scheiternder Beziehungen im Leben ertragen will.

Die Premiere von Philipp Arnolds Inszenierung fand bereits im April 2017 statt, als den Begriff Covid-19 noch niemand kannte. Bilder der Aufführung zeigen, dass sich die Schauspieler durchaus auf Kuss-Entfernung näherkamen, was beim Gastspiel im Erholungshaus Leverkusen pandemiebedingt nicht statthaft war. Doch die vier Schauspieler sind eingepfercht in das enge Korsett der stilisierten Wohnung des Leopold; man spürt den Konflikt zwischen der bedrohlichen, zumindest auf den Außenstehenden übergriffig wirkenden Annäherung und dem nicht gelingenden Versuch zur Herstellung von echter emotionaler Nähe. Die Distanz, die die Akteure zueinander halten müssen, passt perfekt zu dieser kalten, analytischen Inszenierung, in der die Kostüm- und Maskenbildnerin die Schauspieler fast wie Gestalten aus einem frühen Stummfilm aussehen lässt. Die Emotionen sind eingekerkert. Die ihnen immanenten Bedrohungen und die Schmerzen, die sie verursachen, werden umso deutlicher.

Grandios entwickelt Bernd Moss die Figur des Leopold. Ist das Angst, wie er zu Beginn in seinem Zimmerchen sitzt und mit den Händen zuckt? Oder ist es ein Lauern? Ist Leopold gar getrieben von inneren Zwängen? Schüchtern sitzt ihm Daniel Hoevels als Franz gegenüber. Er versteht nicht, warum er mit dem fremden Mann mitgegangen ist. Ja, warum hat er das getan? Moss gibt sich den Anschein des Überkorrekten, des ehrgeizigen Angestellten. Er ist ein kleinbürgerlicher Spießer wie er im Buche steht. Doch dann die wie bei einem Fechtkampf mit kurzen, angedeuteten Stößen und zwischenzeitlichem Zurückweichen vorbereiteten Angriffe: die Fragen nach Franzens persönlichen Verhältnissen. Und die Frage nach seinen sexuellen Interessen und Erfahrungen: Der Spießer wird lüstern – es ist grandios, wie Moss dies mit wenigen Bewegungen und minimaler Mimik deutlich zu machen versteht. Leopold setzt den finalen Stoß: „Haben Sie auch dicke Beine und Haare auf der Brust? … Wollen Sie jetzt mit mir schlafen?“ – Er scheint das Interesse des laut Selbstaussage an Sex eher desinteressierten, seine Befriedigung in der Kunst und im Theater findenden Franz geweckt zu haben. Oder ist der nur zu schwach, um Leopolds scharfe Klinge zu parieren?

Der Lüsternheit folgt keine Lust. Im Gegenteil: Moss wirkt eher wie eine Spaßbremse. Und bereitet damit in seinem Spiel vor, was nach dem Sexualakt Sache ist: Leopolds Charme ist verflogen und dem herrschsüchtigen Verhalten des Haustyrannen gewichen, der immer quälendere, verächtlichere und erniedrigendere Machtspielchen mit Franz treibt. Franz findet nun endgültig nicht mehr aus seiner Abhängigkeit von dem dominanten Quälgeist. Seine Chance kommt vier Jahre später in Person seiner Ex-Verlobten Anna. Doch auch Natali Selig ist von der Kostümbildnerin Julia Dietrich nicht als Erlösungsfigur, sondern eher als alptraumhafte Geister-Version eines Pierrot ausgestattet. Sexuelles Begehren kann das nicht sein bei den beiden Frauen, wenn der fiese Leopold im Beisein von Franz mit Anna und Vera, seiner ehemaligen Geliebten, schläft. Es ist Leopolds letzte sadistische Handlung gegen seinen Hausgenossen Franz. Des Spießers Lust ist die Quälerei. Er ist ein Dämon.