Übrigens …

Deutsche Feiern im Theater Münster

Kapital und Kollektiv

Da schotten sich sechs kluge Köpfe ab. Sie bauen ein Containerdorf und entwickeln dort einen Dünger, der aus unfruchtbaren Feldern blühende Landschaften zu generieren vermag - kein Hunger mehr auf der Welt. Ist das die Rettung für eines der drängendsten Probleme der Menschheit? Der Dünger hat also seine Entwicklungsphase hinter sich, doch nun geht es darum, wie mit dem Produkt weiter verfahren werden soll. Hier setzt Lars Werners Deutsche Feiern ein, das am Theater Münster seine Uraufführung erlebte.

Natürlich war das Start Up konzipiert als Kollektiv, das alle Entscheidungen gemeinsam trifft. Aber kaum ist der Punkt erreicht, an dem durch die Suche nach Investoren das große Geld in Aussicht steht, tritt der kollektive Gedanken in den Hintergrund. Plötzlich ist nicht mehr Schwarmintelligenz gefragt, sondern individueller Einfallsreichtum. So will etwa der „Macher“ Stefan alles an den Meistbietenden verscherbeln. Ana, die Öffentlichkeitsarbeit macht, hatte ein Vermögen mit umweltschädlicher Werbung gemacht. Das hat sie in das Dünger-Projekt gesteckt - quasi als Wiedergutmachung. Ihr ist daran gelegen, dass die Erträge der Allgemeinheit zugute kommen.

Lars Werner entwirft herrlich frische, von „Neusprech“ durchzogene Dialoge, in denen er zugleich beharrlich immer wieder das Wesen des Kapitalismus beschreibt. Letztlich sind alle Handelnden im Bann der Maximierung des Gewinns. Sie werden magisch davon angezogen. So laden sie Bento-Journalistin Lara ein, um den Erfolg des Kollektivs öffentlichkeitswirksam zu zelebrieren. Bento ist das hippe Jugendmagazin des Spiegel - also ein vortrefflicher Ort für ein ebenso hippes Kollektiv. Außerdem werden über die Bild-Zeitung kostenlose Proben des Düngers verteilt. Das ist ein perfektes Promotion-Konzept, wie es scheint. Denn Lara fühlt sich geschmeichelt ob der Einladung und müht sich nach Kräften sprachlich mitzuhalten mit dem offensiv vorwärtsdrängenden Kollektiv. Doch dann kommt‘s ganz bitter für die Menschen im Containerdorf: Der Dünger erweist sich als veritable Party-Droge, die leider auch irreparable Schäden im menschlichen Gehirn verursacht. Was nun?

Regisseurin Marlene Anna Schäfer setzt Lars Werners Text mit traumwandlerischer Sicherheit szenisch um. Eine derart frappierende Kongruenz von Ausgangstext und Szene macht fast sprachlos. Denn Schäfer inszeniert nicht. Sie ist eher Choreografin, stellt ihre Personen mit uniformen Bewegungen auf die Bühne, schafft aber auch stets individuelle Ausdrucksmöglichkeiten. Eine durch und durch beseelte Darstellung eines Kollektivs, die abgerundet wird durch Anton Schreiber. Seine Führung der Live-Kamera lässt das Geschehen jenseits der Szene deutlich werden. Seine Aufnahmen aus den Laboren des Containerdorfs lassen diese wirken wie Bilder von der ersten Mondlandung - fremd und zugleich wie Zeichen einer glorreichen menschlichen Zukunft.

Was nun also? Lara hat alles mitbekommen, weiß um die tödlichen Nebenwirkungen des Düngers und will das der Öffentlichkeit mitteilen. Das muss verhindert werden. Also schweißt sich das Kollektiv, das zuvor am Individualismus zerbrochen war, wieder zusammen. Und es erschießt Lara. Der Ruf des Geldes ist halt stark.

Beim Schlussapplaus gibt es keine Einzelverbeugungen, und das ist auch richtig so. An diesem Abend steht die Verkörperung des Kollektivs im Mittelpunkt. Und die gelingt Joachim Foerster, Marlene Goksch, Julian Karl Kluge, Rose Lohmann, Lea Ostrovskiy, Till Timmermann und Mariann Yar hervorragend. Chapeau und eine tiefe Verbeugung.

Den Hut ziehen muss man auch vor dem Regieteam und dem Autor von Deutsche Feiern, denen eine prägnante und präzise Uraufführung gelingt. Lediglich eine Frage bleibt offen: Der Titel des Stücks erklärt sich nicht wirklich. Ein explizierter Bezug zu Deutschland wird nicht erkennbar. Aber ein wenig Rätselraten darf ja durchaus sein. Gefeiert wird dieser Abend jedenfalls zurecht, denn Lars Werner beweist, dass Kapitalismuskritik nicht aussterben wird.