Übrigens …

Eine Frau flieht vor einer Nachricht im Ruhrfestspiele Recklinghausen

Ich will kein Jude mehr sein. Weil man uns immer umbringt und immer hasst.“

David Grossmans beeindruckender Roman Eine Frau flieht vor einer Nachricht (2009) wurde von der Kritik gefeiert. Gelingt es ihm doch, Literatur und Realität so zu vereinen, dass die unfassbaren Grausamkeiten und Belastungen der eigentlich fast nie aufhörenden Kriegsauseinandersetzungen in Israel ergreifend und wortgewaltig veranschaulicht werden. 2006 stirbt während der Arbeit an dem Buch der jüngste Sohn Grossmans bei einem Militäreinsatz in den letzten Stunden des Libanonkrieges.

Dusan David Parizek inszenierte den konfliktreichen, anspruchsvollen Stoff als Kammerspiel im Malersaal des Hamburger Schauspielhauses. Er zeichnete auch für die Bühne verantwortlich, die zunächst karg erscheint, aber sich dann doch als recht variabel erweist .Einige Overheadprojektoren, ein großes, schräges Podest und wenige Requisiten reichen völlig aus, den in viele Spielszenen untergliederten Abend illustrierend zu ergänzen. Zwei Eimer, mit Wasser gefüllt, stellen einen Fluss dar. Und jeder sieht das so. Am Bühnenrand ein Kleiderständer, die Schauspieler ziehen sich auf offener Bühne um.
Das zentrale Motiv des Buchs wiederholt sich in dem Stück. Die Israelin Ora hat vor der Nachricht, ihr Sohn Ofer sei an der Front gefallen, Angst. Um diese Nachricht – sollte sie denn eintreffen – nicht empfangen zu können, begibt sie sich auf eine lange Wanderung durch Israel und durch ihre Erinnerungen. Ute Hannig als Ora spielt einfach umwerfend. Sie beherrscht perfekt die Klaviatur der Gefühle. Wütend, aggressiv, komisch, entschlossen oder auch mal sinnlich. Auf Augenhöhe Markus Johns als Avram, ihr Jugendfreund. Er ist der biologische Vater ihres Sohnes Ofer und war selbst Soldat im Sechstagekrieg. Und Opfer von grausamen Folterungen. Bestürzend genau beschreibt er zum Beispiel, wie er seinen eigenen Beinahetod erleben musste, eine besonders infame Folter. Verletzt an Leib und Seele kehrt er aus der Gefangenschaft zurück. Wenn er sich bei seiner Erzählung an eine durch Blutspuren gezeichnete Wand lehnt, verdeutlicht dies noch mehr seine Verletzungen. Paul Herwig ist sowohl Ilan – auch ihn kennen Ora und Avram seit ihrer Jugend – wie auch Ofer, Oras Sohn, der unbedingt noch einmal an die Front will, um am Bombeneinsatz teilzunehmen. Schockierend, wenn er beschreibt, wie man bei der Armee übt, auf Araber zu schießen, und wie er in einer militärischen Aktion einen alten Mann in einen Kühlraum sperrte und dort vergaß. Berührend, wenn einem im Kampf verletzten Freund berichtet, der um Hilfe schreit, und den er auf Befehl des Kommandanten nicht retten darf.

Die Inszenierung lässt den Zuschauer keine Minute aus ihrem Bann. So viele Gefühle unterschiedlichster Art, so viele Impressionen von Israel, diesem vom Krieg gequälten Land, aber auch so mancher humorvolle, leichte Moment. Ein klug inszenierter Abend mit drei fantastischen Schauspielern. Absolut sehenswert und – schaut man heute nach Israel – leider mehr denn je aktuell. Wir lernen viel über die gesellschaftliche Zerrissenheit in Israel, über Araberhass und Friedensbemühungen, über Existenzangst und Überlebenswillen.