Übrigens …

Die Blinden im Münster, Theater an der Meerwiese

Angst, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit

Nein, mit ihnen möchte man ganz gewiss nicht tauschen: Zwölf blinde Menschen, Männer und Frauen, untergebracht in einem Hospiz auf einer Insel. Sie verlassen ihr gewohntes Gemäuer und werden von einem Priester in den benachbarten Wald geführt. Ein Ausflug, ein Spaziergang. Doch dann ist er plötzlich verschwunden, der Priester, ihr sehender Beschützer, ihr Hirte. Was nun? Alle sind erst einmal hilflos. Aber wie ist diese Situation in den Griff zu bekommen?

Maurice Maeterlinck schildert die Lage dieser verlassenen Blinden in seinem 1891 uraufgeführten Drama Les Aveugles („Die Blinden“). Zwölf Individuen, die ganz unterschiedlich auf ihre prekäre Lage reagieren. Und eine Geschichte, die für die AkteurInnen des TheaterX durchaus eine Herausforderung darstellen. Die semi-professionelle Gruppe rund um Regisseur Alexander Becker macht seit etlichen Jahren immer wieder auf sich aufmerksam: mit starken Stoffen, mit ungewöhnlichen Stücken wie jetzt mit diesem Maeterlinck.

Dunkel, sehr dunkel ist‘s im Theatersaal. Nur schemenhaft sind Figuren zu erkennen, wie sie fast regungslos auf Baumstümpfen hocken. Warten! Hoffen! Zuversichtlich bleiben! Denn die Gruppe ist aufgeschmissen ohne ihren Priester, der allein sie wieder nach Hause zurück bringen könnte. Doch der Priester kommt nicht, er bleibt verschollen. Um so mehr lauschen die Blinden mit ihren Ohren, empfangen Geräusche, deuten sie… immer in der Hoffnung, es zeige sich schon irgendwie und irgendwo ein Silberstreif am Horizont. Einer von ihnen empfiehlt das Beten, eine andere wird zunehmend hysterisch, ein Dritter gibt sich eher gelassen und ruhig.

Zwölf unterschiedliche Typen in einem eher unheimlichen Wald – sehr individuell ausgestaltet durch charakteristische Sprachmelodie, durch differenzierten Rhythmus. Sämtliche DarstellerInnen spielen mit Emphase, aber ohne Übertreibungen. Es stellen sich existenzielle Fragen: „Wer wir eigentlich sind, wissen wir nicht“ und „Wir wissen nie, wo wir leben“. Eine Blinde hört die Sterne scheinen!

Dann wird ein Toter aufgefunden: der Priester. Damit scheint jede Hoffnung auf Rettung verloren, man betet das „Pater noster“. Ein Gewitter zieht mitten in der Nacht herauf. Im Theatersaal kracht es gewaltig, Blitze zucken durch die Luft und erhellen für Bruchteile von Sekunden die Szene. Ein junges Mädchen hört Schritte… - doch noch Erlösung? Die Frage bleibt offen. Es wird kalt, sehr kalt. Aus dem Off erklingt Henry Purcells „Cold Song“ (aus „King Arthur“)…

Les Aveugles: Ein gewagtes, anspruchsvolles Stück für die sechzehn Leute von TheaterX, die sich an keiner Handlung orientieren können, weil es sie in diesem Drama nicht gibt! Um so beeindruckender das Ineinandergreifen der einzelnen ProtagonistInnen, die Regisseur Alexander Becker auf die vier Wände des Bühnensaals verteilt, während das Publikum in der Mitte sitzt und in alle vier Himmelsrichtungen schaut (so es etwas zu schauen gibt). Dies erweist sich als praktikable Raumlösung für eine intensive Begegnung mit einer fast schon surrealen Welt.

Riesenapplaus für alle Beteiligten.

 

(Weitere Termine: 2., 3. und 4. Juli 2021)

http://www.theaterx.de/