„Auch Verwöhntwerden kann Stress bedeuten.“
Nachdem dank Corona die gerade ablaufende Spielzeit ziemlich gerupft wurde, konnte man in Bochum in den letzten drei, vier Wochen einige wenige Live-Vorstellungen buchen. Am 5. Juli beginnen dann die Schul- und so auch die Theaterferien. Natürlich gelten auch hier die einschränkenden Corona-Schutzmaßnahmen. So sitzen in den Kammerspielen nur 75 statt 400 Zuschauer. Im Großen Haus sind 160 Plätze belegt statt 800. Trotzdem ist es eine beglückende Erfahrung, endlich wieder lebendiges Theater zu erleben, auch für die Darsteller. „Ich bin unsagbar froh, endlich wieder vor lebenden Menschen spielen zu dürfen“, so Stefan Hunstein.
Der Autor David Foster Wallace (1962-2008) ging im Auftrag von Harper’s Magazine an Bord eines Luxusliners. Getreu dem Motto der Reiseindustrie „Cruises are fun“ überließ er sich dem raffiniert ausgeklügelten System, das die Passagiere, die schließlich viel Geld für diese Reise bezahlt haben, mit einem Netzwerk von Vergnügungsangeboten, exzellenten Serviceleistungen und sportlichen Aktivitäten wie zum Beispiel Tontaubenschießen umgarnt: „Your pleasure is our business.“
Stefan Hunstein, der in einer One-Man-Show an diesem Abend begeistert, spielt einen Passagier, der sich auf eine einwöchige Kreuzfahrt durch die Karibik - kurz „7NC“, Seven-Night-Carribean - auf einen dieser Megaluxusozeanriesen begeben hat. Brav macht er alle Vergnügungen mit, die dem Urlauber an Bord geboten, ja geradezu aufgezwungen werden: von Single-Partys über Handarbeitskurse, von Shows eines Hypnotiseurs und lukullischen Schlemmereien (wobei die Meeresschnecken nicht immer gut vertragen werden) bis hin zu den verschiedenen Sportaktivitäten auf den zahlreichen Decks. Alles überlagernd: eine Endlosschleife von Schubidu-Musik, unterbrochen von mantraartigen Durchsagen, was gerade angesagt sei. Äußerst witzig und zunehmend kritisch charakterisiert Hunstein diesen permanenten Zwang, dem Amüsierprogramm zu folgen, und beobachtete dabei seine Mitreisenden amüsiert. Skurril, wenn „Menschen aus dem gehobenen Mittelstand“ fragen, „ob man beim Schnorcheln nass wird, ob die Crew ebenfalls an Bord schläft und um welche Uhrzeit das Mitternachtsbuffet eröffnet wird“. Bedrückend seine minutiösen Beschreibungen der ethnischen Zusammensetzung der Mannschaft und des damit verbundenen Kastensystems des Personals. Er spricht sogar von „kafkaesker Dimension“, die sich bei Störungen dieser Rangordnung zeigt. So geschehen, als er seine Reisetasche selbst tragen wollte.
Die Bühne ist mit wenigen Requisiten ausgestattet. Vier Liegestühle, eine Tischtennisplatte, ein Schachbrett, ferner eine Bank - sie symbolisiert seine Kabine. Ab und an ein Kostümwechsel. Auf einigen großen Ballons wird ab und zu das Foto eines seriösen Herrn im Anzug gezeigt (auch Hunstein), der die Werbeslogans der Reederei verkündet. All das wird uns durch Hunsteins facettenreiche Darstellung aller Details plastisch vor Augen geführt. Wobei er seinen Reisenden auch als jemanden porträtiert, der mit diesem ständigen Amüsierzwang nicht zurechtkommt. Der immer auch die negativen Seiten sieht. So bekommt zum Beispiel der Entertainer die meisten Lacher, der am gemeinsten zu den Zuschauern in seiner Show ist.
Ein nachdenklich stimmender Abend mit einer Paraderolle für einen so großartigen Schauspieler wie Stefan Hunstein.