Übrigens …

Jedermann reloaded im Düsseldorf, Gustaf-Gründgens-Platz

Ein Festivalabend mit und für Jedermann und Jedefrau

Seit Tagen ächzt das Land unter Unwetterkatastrophen. Von Sommer keine Spur. Doch das ASPHALT Sommerfestival der Künste hat Open-Air-Theater angesagt. Eine Zitterpartie. Und alle, alle kommen: die Freilichtbühne auf dem Gustaf-Gründgens-Platz füllt sich. Der Platz ist in ein Gesamtkunstwerk verwandelt. Die Künstlergruppe raumlaborberlin schuf hier die raumgreifende Installation „Third Space“ aus Original-Flugzeugteilen eines zu verschrottenden Bundeswehrfliegers. Teil dieser multifunktionalen Installation (die ursprünglich für die ausgefallenen Ruhrtriennale 2020 geplant war) bildet eine modulare Besuchertribüne, die sich bis auf den letztmöglichen Platz füllt.

Der Raum gegenüber ist vollgestellt mit unzähligen flackernden Grablichtern, dazwischen jede Menge Kruzifixe - mit und ohne Korpus -, schmutzige Barockengelchen, Rosenkränze, umgekippte Kelche und Kerzenleuchter jeder Größe und, um die düstermorbide Szenerie aufs Äußerste zu treiben: überall gespenstige Totenköpfe.

Bühnennebel steigt auf und aus den vielen Lautsprechern rundum ruft zu verhaltener Musik eine Stimme: „Kaisers verbrieftes Recht“, dann ein ohrenbetäubender Knall und drei Musiker, Die Elektrohand Gottes, übernehmen ihre Instrumente im Hintergrund: Alwin Weber (Schlagzeug), Thobias Herzz Hallbauer (Gitarre), Jörg Schittkowski (Electronics), der später mit geheimnisvoller Gestik auch sein Theremin zum Singen und Jaulen bringen wird.

Eine Fanfare ertönt und herangestürmt kommt Philipp Hochmair im Military-Tarnanzug mit dicken Rosenkränzen um den Hals als rockender Jedermann. „Einen fröhlichen Tag“ brüllt er zu Elektrobeat in die Runde, tritt vors Publikum und beginnt - ganz getreu Hugo von Hofmannsthal - mit der Spielansage: „Jetzt habet allesamt Achtung Leut!“ Gott den Herrn auf seinem Thron, der dem Ansager im Original folgt, lässt er allerdings aus. Der Rocksound dreht auf, droht den Sprecher zu übertönen, doch Hochmair setzt kraftvoll den mehr als hundertjährigen Text dagegen.

Der atemberaubende Monolog dieses Hochleistungsschauspielers beginnt und macht aus dem leicht angestaubten Mysterienspiel ein brillantes Rock-Sprechkonzert.

Noch strotzt Jedermann vor Lebenskraft, rockt, tobt, beginnt mit diversen Geldsäcken zu jonglieren, protzt mit seinem Reichtum, greift sich eines der überall rumstehenden Mikrophone und stürmt ins Publikum, flirtet nach rechts und links, fällt in dröhnenden Sprechgesang: „Bin jung im Herzen und wohlgesund, will freun mich!“ prustet er und schickt den Lustschrei in die Echoschleife. Er macht sich übermütig auf, für all das Geld in den Säcken einen Lustgarten zu kaufen.

Doch dann kippt der Übermut: Auf dem Weg begegnen ihm „im Geiste“ all die Hofmannsthal’schen Figuren: Der Knecht, der Schuldner, dessen Frau - da zieht Hochmair einfach die Jacke von hinten über den Kopf, beugt sich vor und ist ganz plötzlich ein armes, altes Weib - und schließlich auch die eigene Mutter. Berührend still und ernst wird der Rockstar plötzlich, trippelt - wieder mit der hochgezogenen Jacke - von einem zum anderen Mikro, redet liebevoll auf sie ein und hört ihr zu. Ein ruhiges monologisches Zwiegespräch inmitten des Trubels.

Danach noch einmal eine wahnwitzige Ekstase: im opulenten Umhang aus Gold-Flitter tobt Jedermann, getrieben von subversivem Elektrosound und Gitarrenriffs, über die Bühne, wälzt sich im Gold, schluchzt und verstummt endlich. (Das ist wohl die Szene, die ein Kritiker Kinski-Größenwahn nannte.)

Glockengeläut aus dem Synthesizer, rote Strahler lassen das Gold des Umhangs rötlich aufflackern, der Tod tritt auf: Hochmair greift einen der Totenköpfe, streckt den Arm in die Höhe und moduliert die Stimme zu einem tiefen Bass, während er die Stunde des Aufschubs aushandelt. In diesem wie den folgenden „Dialogen“ ist Jedermann der Kleine, Gebeugte, während alle anderen: Buhlschaft, Vettern, Glaube, Werke aufgerichtet stehen.

Erschöpft und reuig schleppt er am Ende ein riesiges Holzkreuz über die Bühne und verschwindet, ein Grablicht in der Hand, mit den Worten „hat angehoben Ewigkeit“ im Dunkeln.

Starke Bilder, die im Ambiente der Freilichtbühne nicht kitschig wirken.

Sprachlich, musikalisch, schauspielerisch ein furioser Abend, für den sich das Festivalpublikum mit Ovationen bedankte.

Seit 2013 tritt Philipp Hochmair in immer neuen Variationen mit dieser Performance auf, so streng monologisch wie diese waren sie bisher allerdings nicht. Seit er 2018 in Salzburg bei den Festspielen mit großem Erfolg für den erkrankten Moretti als Jedermann einsprang, zählt er in der Theaterwelt zweifellos zu den großen Jedermann-Darstellern.