Übrigens …

Rom / Mensch im Düsseldorf

Mit dem Kleinbus in die Roma-Welt

Alle halbe Stunde geht ein mit sieben Zuschauern besetzter Kleinbus auf die Reise durch den Düsseldorfer Osten: durch Flingern, Eller und Lierenfeld, die Stadtteile, die geprägt sind von Kleinindustrie und migrantischer Bevölkerung. Doch zuvor führt Regisseur Stefan Herrmann seine Gäste in einen kleinen Raum im ZAKK, dem soziokulturellen Zentrum für Aktion, Kultur und Kommunikation, und lässt sie in den Spiegel schauen. Man blickt in sein eigenes Konterfei, und aus den Kopfhörern tönt die Frage. „Wer bist du?“ Nach dem Status als Mutter oder Vater wird gefragt, nach der Kleidung. Kleider machen Leute, Kleider machen Vorurteile. „Liebst du Männer? Frauen? Alle?“ - Mit den Fragen stellen sich Assoziationen ein, Erinnerungen an Menschen, die wir kennen oder denen wir einmal begegnet sind. Sollen da etwa Vorurteile abgefragt werden? Vermeintliche oder tatsächliche Identitäten? - Gleich kommt der Bus; es geht zu den Düsseldorfer Rom:nja.

Zunächst einmal fährt der Kleinbus die Erkrather Straße auf und ab. Vom Band erzählen Orfeij Alievski und Jussein Durmisevski von der Ankunft der ersten Gastarbeiter in den 1960er Jahren. „Deutschland bringt dich um“, hatte Opa gewarnt, der noch die Verfolgung und Ermordung der Rom:nija unter den Nationalsozialisten im Zweiten Weltkrieg miterlebt hatte. Doch heute treffen wir Menschen, die sich weitgehend in Deutschland integriert haben und die berichten, dass sie Deutschland lieben. Die Kinder der Erkrather Straße schwärmten von der Multi-Kulti Community auf der Straße, von gegenseitiger Akzeptanz und Unterstützung. Und doch wird bis heute am Arbeitsplatz und im Bekanntenkreis außerhalb der Familie die eigene Herkunft verschwiegen. Zu groß sind die Vorurteile gegenüber der Volksgruppe der Rom:nija. „Zigeuner“ sind schmutzig; sie klauen, lügen und nehmen anderen Menschen ihre Kinder weg.

Immer wieder hören wir diese Geschichte, obwohl wir uns auf der sozialen Leiter aufwärts bewegen. Ahmet Bajrami empfängt uns in einem ausgemusterten Rheinbahn-Bus. Der ehemalige mazedonische Fallschirmspringer erzählt voller Humor von den Irrungen und Wirrungen auf seiner Odyssee zwischen seiner mazedonischen Heimat und seinem neuen Zuhause in Deutschland, wo er schließlich als Rheinbahnfahrer anheuerte. Er lobt die Hilfestellung des Arbeitsamtes - und auch er berichtet von den Vorurteilen, die den Angehörigen seines Volkes entgegengebracht werden. Nie hätte man ihn eingestellt, hätte man von seinem ethnischen Background gewusst, sagt ihm sein Chef auf den Kopf zu, als er sich nach Jahren outet. Bajrami hat mache Anekdote zu erzählen, doch er macht seine Zuhörer auch nachdenklich: Als Busfahrer habe er alles gehört, was seine Fahrgäste über die Ausländer vom Stapel gelassen hätten.

Serben oder andere ehemalige jugoslawische Migranten seinen besser angesehen als die mazedonischen Roma, sagt Sami Dzemailovski, der sich als Erster Vorsitzender des Vereins „Carmen e. V.“ für die Interessen der zugewanderten Rom:nija einsetzt. Sie verstecken ihre Identität und sind doch in allen Berufen präsent - vor allem als Putzkräfte, Haushaltsangestellte, Babysitter in reichen Familien. Klauen? Schmutzig sein? Das ist doch wohl ein Widerspruch zum realen Umgang mit den Mitgliedern der Volksgruppe. Aber: Man outet sich ja nicht. Dzemailovski will das nicht akzeptieren. Mit seinem Verein kämpft er für größere Anerkennung und bessere Bildungschancen in Deutschland, und er hat sich für das Bleiberecht der mazedonischen Rom:nija eingesetzt - anders als die Rom:nija aus anderen Nationen. Im Sozialismus habe er dies nicht anders kennengelernt, sagt er: Da müssten die Gleichberechtigung und die Repräsentation in Politik und Gesellschaft doch auch in Deutschland möglich sein. (Nun, aus sozialistischen Staaten hat der Schreiber dieser Zeilen auch schon ganz andere Geschichten gehört, aber Ungarn und Rumänien mögen da anders getickt haben als Mazedonien…)

Der Höhepunkt der Reise erwartet den Shuttle-Touri in Lierenfeld. Auf einem verwilderten Grundstück steht etwas verloren eine Gedenktafel für die in den 1940er Jahren deportierten Sinti*zze und Rom:nija, deren Züge in die Vernichtungslager zum Teil an dem benachbarten Bahndamm entlang fuhren, Hier empfängt uns Imer Ajdini: locker, strahlend, in hervorragendem Deutsch eine perfekte Balance zwischen Ernsthaftigkeit und humorvoller Kommunikation findend. Er erzählt von seinem Studium in Istanbul, von anfänglichen Konflikten an der dortigen Universität mit den Turkmenen und der erfolgreichen Initiative des Rektors zur Schaffung einer Atmosphäre von Menschlichkeit, Toleranz und gegenseitigem Kennenlernen. Im Alter von 21 Jahren ist er im Jahr 2000 nach Deutschland gekommen („Wir lieben Deutschland, warum auch immer. Deutschland steht für ökonomische Stabilität, und wir Roma lieben Stabilität…“), hat die Sprache gelernt, ein Taxiunternehmen und ein islamisches Bestattungsinstitut gegründet. Er bittet uns, ihm zu folgen in ein unscheinbares, von der Straße aus unsichtbares grünes Gebäude - und schon stehen wir in der ersten Roma-Moschee in Europa, der einzigen, in der neben Arabisch auch auf Romanes gebetet und gepredigt wird. Hinter einfachen Mauern in wuchernder Wiese verbirgt sich orientalische Pracht. Ajdini ist auch der Imam dieser Moschee, und er erzählt von der Diskriminierung seines Volks auch unter den Muslimen - und von seiner Mission zu integrieren und seinem Volk das erforderliche Selbstbewusstsein zurückzugeben. Doch auch er, fraglos ein wahrer Vorzeige-Rom, berichtet von schmerzhaften Diskriminierungserfahrungen.

Zurück am Ausgangspunkt unserer Reise werden wir in einen liebevoll im Bistro-Stil dekorierten Raum geführt. Dort erwartet uns Dejan Jovanovic aus Berlin, einer der besten Akkordeonspieler Europas. Der im serbischen Obrenovac geborene, im Bereich der Volksmusik und der Klassischen Musik vielfach ausgezeichnete Musiker und Komponist spielt einen Tanz in seiner serbischen Version und im wilderen, kratzigeren, aber auch temperamentvolleren Roma-Stil. So erleben die Reisegäste zum Schluss das Klischee und den Kontrapunkt zum Klischee in einer Person, die „Zigeunermusik“, voller Schwung und Verführungskraft, aber auf absolutem Weltklasse-Niveau und dargeboten von einem Rom, der sagt: „Ich könnte auch Deutscher sein.“

Vaska Ajdini hatte uns von der Moschee zurück zum ZAKK gefahren. Von der für die Integration eine fremde Kultur und in eine andere Gesellschaft erforderlichen beidseitigen Toleranz hatte sie gesprochen, von Anstrengungen und ernsthaftem Bemühen, aufeinander zuzugehen. Sie differenziert zwischen Integration und Assimilation: Es sei bei allem Bemühen um Integration wichtig, sich nicht selbst zu verlieren. Sie selbst habe vieles aus der Kultur der Rom:nija mitgenommen, anderes weggeschoben. Ihr Fazit: „Ich muss mich nicht verstellen oder daran arbeiten, integriert zu sein, Ich bin integriert.“ Wenn man Vaska Ajdini erlebt, hat man daran keinen Zweifel. Wir aber haben auf unserer Shuttle-Tour durch den Düsseldorfer Osten unsere Vorurteile reflektiert und unser Schubladendenken erkannt. Abgelegt haben wir es noch lange nicht. Dabei begegnen uns unsere Gesprächspartner und Guides an diesem Abend nie mit erhobenem Zeigefinger. Trotz aller Verletzungen, die die Mehrheitsgesellschaft ihnen zugefügt hat, sind sie zugewandt und humorvoll. Lange noch sprechen wir über die anregende Tour in eine fremde und doch so nahe Welt. Wie wär’s mit ein bisschen weniger Vorurteilen und mehr Vertrauen?