Übrigens …

Frauensache im Münster, Wolfgang-Borchert-Theater

Das schleichende Gift der Neuen Rechten

Lutz Hübner und Sarah Nemitz greifen in ihren Stücken immer wieder Strömungen in unserem gesellschaftlichen Leben auf und fokussieren sie gekonnt. So auch in Frauensache. Da geht es zwar formal um Abtreibung und den Paragrafen 218. In Wirklichkeit aber ist die Neue Rechte das Thema, das Nemitz und Hübner aufgreifen.

Beate ist seit dreißig Jahren Frauenärztin, Alt-Achtundsechzigerin und nimmt Schwangerschaftsabbrüche vor. Nun sucht sie eine Nachfolgerin für ihre Praxis. Hanna ist die einzige Bewerberin. Sie ist jung, eloquent und bereit, eine Landpraxis zu übernehmen. Doch nach und nach stellt sich heraus: Hanna ist nicht nur konsequente Abtreibungsgegnerin, sondern entpuppt sich auch als Vertreterin der intellektuellen Rechten, die man als sogenannte Identitäre bezeichnen könnte. Diese liefern dem brutal Nationalistischen und Faschistoiden das intellektuelle Fundament. Um diese beiden Antipoden gruppieren Hübner und Nemitz Beates medizinische Fachangestellte, einen syrischen Flüchtling, die alleinerziehende Mutter, die einen Abbruch vorhat, die linksintellektuelle Amtsleiterin und die Stadträtin, die gerade in eine neue rechte Partei gewechselt ist. Eine Fülle von Konflikten ist also angelegt in dieser Konstellation, die die Autorin und der Autor alle ausbreiten und das Publikum zwingen, Stellung zu beziehen. Geschickt werden sie zusammengeführt in einer Podiumsdiskussion, in der sie ausbrechen und alle Frauen aufeinanderprallen.

Das ist viel Stoff, der sehr gut aufbereitet wird und das mit perfekt geführtem Spannungsbogen. Hübner und Nemitz wollen gesellschaftliche Debatten aufgreifen und darstellen. Das gelingt sowohl dramaturgisch als auch sprachlich geschliffen. Frauensache garantiert einen unterhaltsamen Theaterabend mit Zeigefingereffekt. Der geht aber nicht in die Tiefe, da die Autorin und der Autor auf eine charakterliche Ausformung ihrer Figuren verzichten. Aber als Typen sind sie unbezahlbar, vermitteln, was sie sollen, in dem sie munter parlieren und diskutieren.

Der Chef des Borchert-Theaters, Meinhard Zanger, setzt den Duell-Charakter von Frauensache eindrücklich um. Stephanie Kniesbeck schafft eine leicht nach vorne abfallende Ebene, auf der und vor der sich die Kombattantinnen zur Redeschlacht treffen. Sechs Stühle am Rand bieten Platz zum Luftholen und zum Nachdenken über neue Argumentationslinien.

Zanger kann sich auf ein in jeder Hinsicht hoch motiviertes, spielfreudiges Ensemble verlassen, dem zuzuschauen einfach unbändige Freude bereitet. Das tröstet in ganz hohem Maße hinweg über die durchaus vorhandenen Schwächen des Stücks.

Allen voran glänzt Monika Hess-Zanger als eigentlich desillusionierte Frauenärztin Beate, deren verschütteter Kampfgeist durch die Rechte aufs Neue mit eruptiver Macht erwacht. Laura Bleimund ist cool, gestählt mit blitzsauberen Argumentationsketten und doch so menschenverachtend rechts, dass es einem durch Mark und Bein fährt. Bleimund ist eine durch und durch würdige Gegnerin für Hess-Zanger. Bravo! Rosana Cleve als ungewollt Schwangere gerät zwischen diese beiden unbarmherzig mahlenden Mühlsteine, artikuliert klar und anrührend Ängste und Wünsche.

Ariella Hirshfeld ist medizinische Fachangestellte und syrischer Flüchtling - außerdem kennt sie sich bestens mit den sogenannten Sozialen Medien aus. Da vereinen Hübner und Nemitz sehr viel in einer Figur. Aber Hirshfeld wird den großen Ansprüchen an sie auf konsequente Weise gerecht. Marion Mainka ist Angelika. Sie ist in der Stadtverwaltung tätig und versucht Beate zu helfen, lässt sich dabei aber schnell in die Defensive drängen. Mainka verkörpert geradezu den Inbegriff von gut gemeinter Hilflosigkeit.

Und dann ist da Ivana Langmajer als Gemeinderätin, die neu ist bei den Rechtspopulisten. Sie hat Ziele, nicht nur politische, sondern auch persönliche. Denn ihr Mann will das neue Ärztezentrum am Ort bauen. Langmajer ist schillernd, spielt Gegner gegeneinander aus, verwirrt und schlägt im richtigen Moment ihre Zähne in die Beute. Sie ist die Versuchung schlechthin und man spürt genau: irgendwann wird Adam ihr auf den Leim gehen.

Dem Wolfgang- Borchert- Theater gelingt am Ende einer furchtbaren Saison eine Premiere, die so richtig Appetit macht, auf den Start in die nächste.