„Die Liebe befahl, ich gehorchte.“
Der italienische Dichter Dante Alighieri, dessen Todestag sich im Jahr 2021 zum 700.Mal jährt, ist unzweifelhaft einer der größten Schriftsteller Europas. Als junger Mann schilderte er in seinem Werk „Das neue Leben“ („Vita Nova“) seine Liebe zu Beatrice, „der Herrin seines Herzens“, die er im zarten Alter von 9 Jahren zum ersten Mal sieht. Von da an gilt: „Die Liebe befahl, ich gehorchte.“
Christopher Rüping inszenierte erstmals am Bochumer Schauspielhaus. Die Kritiker von Theater heute wählten ihn 2014 und 2015 zum Nachwuchsregisseur des Jahres, 2019 zum Regisseur des Jahres.
Mit dem Ensemble greift er Motive, Ideen und Gefühle aus Dantes Liebeswelt auf. Was kann das neue Leben sein, auch für uns nach dieser langen Zeit der schärfsten Einschränkungen zwischenmenschlicher Beziehungen? Wie fangen auch wir neu an? Where do we all go from here?
Zu Beginn des Abends ist das Licht im Zuschauerraum an, Auf dem Boden der ansonsten schmucklosen Bühne sind neun konzentrische Kreise zu sehen. Links steht eine hohe Leiter, rechts ein Klavier, das von selbst spielt und vorprogrammiert zu sein scheint. Die Schauspieler und Schauspielerinnen – William Cooper, Anna Drexler, Damian Rebgetz, Anne Rietmeijer – sitzen vor der hinteren Bühnenwand und unterhalten sich leise. Dann kommt Damian Rebgetz nach vorne zum Klavier und beginnt, die Emotionen zu beschreiben, die der 9jährige Dante beim ersten Treffen mit der fast gleichaltrigen Beatrice, in die er sich unsterblich verliebt, empfindet. Im Folgenden wechseln sie sich in der Rolle des Liebenden und der Beschreibung seiner Gefühle ab. So berichtet Anna Drexler von einer Nacht, in der sie erwacht und Beatrice ihr erscheint. William Cooper ermutigt sie, die Gefühle herauszulassen. Nach einer Zufallsbegegnung, neun Jahre nach dem 1.Male, mit ihr, der „Herrin seines Herzens“, gerät er in einen Strudel der Emotionen. Um vor der Umwelt seine Liebe zu verbergen, erfindet er die Liebe zu einer anderen Frau, Elke. Was ihm den Ruf der Flatterhaftigkeit einbringt, so dass Beatrice ihm den Gruß verweigert. Es ist nicht so, dass immer nur einer der Darsteller die Rolle des Liebenden allein gibt, manchmal sprechen sie im Chor, singen Lieder („…and I will always love you“, Whitney Houston). Die großartigen Darsteller haben alle ihre Szenen, in denen sie besonders hervortreten und – auch allgemein – Aspekte der Liebe beschreiben oder besingen. Knapp neunzig Minuten vergehen scheinbar spielerisch und leicht, aber nie oberflächlich. Dann stirbt Beatrice. Und Rüping findet ein großartiges Bild zum Thema Tod. Eine große Lampe wird über die Kreise geführt, Nebel wabern, merkwürdige Wesen streifen im Halbdunkel über die Bühne. Der Tod und das Wissen, Chancen versäumt zu haben, Tristesse und Verzweiflung dominieren. Dann tritt die großartige Viviane De Muynck in weißem Anzug und weißer Kapuze als tote, von Dante heraufbeschworene Beatrice auf. Sie spricht ganz nüchtern über das Alter und welche Veränderungen es mitbringt.
Ein zu dem emotionalen, sinnlichen Abend über Dantes Liebe und die Liebe allgemein ein passender Schluss. Eine ungemein sehenswerte Inszenierung.