Endloses Gefängnis
Theresia Walser hat schon manches Mal ihr Sensorium für Themen, die in der Luft liegen, bewiesen. Mit ihrer im letzten Jahr beim Weimarer Kunstfest uraufgeführten Endlosen Aussicht freilich landet sie einen schwärzesthumorigen auf die Covid-19-Lage zielenden Volltreffer. Das Einpersonenstück tourt gegenwärtig in der eineinviertelstündigen Uraufführungsproduktion durchs Land. Jona, die in der fensterlosen Innenkabine eines Kreuzfahrtliners festsitzt wie weiland der alttestamentliche Prophet im Bauch des Wals, wird durch die an Bord grassierende Seuche gleichsam in Geiselhaft genommen. Halbstündige Freigänge sowie die Erinnerung an die Kabinennachbarn und das Lauschen auf Geräusche von außen vermögen die Pein der Isolationshaft kaum zu lindern, zumal der Kreuzfahrtriese ohne Option auf Anlegeerlaubnis in welchem Hafen auch immer über den Ozean geistert. Weder der Alkohol zum Seuchenrabatt noch eine ebenso verbotene wie flüchtige Affäre mit einem Angehörigen des Servicepersonals trösten über die Misere hinweg.
Theresia Walser packt alles dies in einen brillanten Monolog, der vor krachenden Pointen nicht scheut, um dabei das Publikum immer von neuem aufs Glatteis zu führen. Der Tod lauert vor der Kabinentür und was munter an Scharfsinnigkeiten, Spitzen und Sottisen serviert wird, offenbart sich als Galgenhumor. Der Wal wird Jona nicht mehr hergeben. Im Verein bringen Walser und Judith Rosmair regieführend zuwege, die präzise umrissene Situation endlosen Ennuis in der Innenkabine fürs Publikum voller Kurzweil daherkommen zu lassen. Jona tänzelt über die Bühne und wirft die Beine im beinahe überbordenden Bewegungsdrang der Eingesperrten. Walsers virtuose Sprechkaskaden setzen sich so unmittelbar und fast choreographisch in freilich leerlaufende Motorik um. Allererst aber nimmt Rosmairs sorgsam modulierende und feinsinnig abstufende Stimme für sich ein. Die Scharfzüngigkeiten explodieren daher nur desto heftiger.
Theo Eshetu hinterfängt das Bühnengeschehen mit Videos aus einer Tiefseewelt, die in ihrer fremdartigen Schönheit völlige Gegenbilder zum schwimmenden Touristen-Kerker aufrufen.
Kein Zweifel, Riesenmonolog und Produktion kandidieren aussichtsreich als Zeitstück von bleibender Gültigkeit.