Money, Money, Money
Eine offensichtliches Zusammenwirken von Mangel an Geld und dem Besessensein von materiellen Besitz ist der Geldkomplex - eine Abwesenheit von pekuniärer Sicherheit verbunden mit ständigem Kreisen der Gedanken um Geld also. Diese gar nicht so seltene Diagnose stellt Psychologe Dr. Flachmeier der Schriftstellerin Feli, die chronisch pleite ist. Er hat auch gleich die passende Spezialistin parat: Professorin Dr. Knust soll es richten, die ein Sanatorium betreibt. Das ist exklusiv und teuer und damit gleich der nächste Brandbeschleuniger für Felis Geldkomplex.Doch zumindest ist man unter sich bei Frau Professor. Ihre „Gästeschar“ besteht aus lauter Gestrandeten auf der Flucht vor Realität. Alle lassen sich hineinziehen in Felis ständige Gedanken um‘s Geld und genießen das Befeuern und Beschwören des Geldkomplexes durch Felis Freund Henry, der die absonderlichsten Investitionspläne ausbreitet - von australischen Kobaltminen bis hin zu befüllten Luftsäcken. Alles ist gut, was auch nur etwas Abwechslung bringt in die Gedankengänge oder neue absurde Blüten darin treibt.
Felicia Zeller lässt sich bei ihrem Stück Der Geldkomplex inspirieren von Franziska zu Reventlows gleichnamigen Roman von 1916 und natürlich von Thomas Manns Zauberberg. Hier wie da wird eine künstlich angelegte Parallelwelt immer wieder mit der Realität konfrontiert. Linderung der Symptome lässt Zeller ihren Figuren durch einen Casino-Besuch in Monte Carlo angedeihen. Der dort praktizierte unverkrampfte Umgang mit Gewinn und Verlust scheint wahre Wunder zu wirken. Allen jetzt in reines Weiß gekleideten Beteiligten liegt ein beseligt unschuldig-unverkrampftes Lächeln auf den Lippen.
Bei der Uraufführung von Der Geldkomplex am Theater Münster legt Regisseur Max Claessen den Schwerpunkt auf die Darstellung der hermetisch abgeschlossenen Sanatoriumswelt mit den in den Köpfen stattfindenden Reisen nach Australien oder ans Mittelmeer nach Monaco. Claessen und Video-Künstler Andreas Klein lassen dazu den Patienten Gottfried per Virtual Reality nach Australien reisen und sich dort vom Bodenschatz-Ausbeuter zum Umweltaktivisten wandeln. Saulus auf dem Weg nach Damaskus ist hier auf dem fünften Kontinent unterwegs. Die schon fast verklärte Reise nach Monte Carlo - also quasi der direkte Transfer in den Himmel - inszenieren die Beiden, indem sie die Figuren, im Zuschauerraum verteilt, sich selbst auf dem Weg ins Elysium zuschauen lassen. Das sind die High-Lights des Abends, zu denen sich Ilka Meyers Kostüme gesellen, die gekonnt zwischen sportlicher Reha-Kleidung und eleganter Gesellschaftsgarderobe wechseln.
Dann ist zu nennen die hervorragende Leistung des Ensembles auf der Bühne. Frank-Peter Dettmanns russischer Pseudo-Oligarch, Christoph Rinke als schwuler Adelsspross, Marlene Goksch als ständig wie ein Uhrwerk ihr Unglück repetierende Baulöwin, der rappende, von seinen religiösen Eltern weggeschlossene Gottfried Daniel Warlands und Wilhelm Schlotterer als dauerkurender Privatdozent sekundierten herrlich dem unmöglich exaltierten Ärzteteam mit Christian Bo Salle als Mode-Psychiater und Ulrike Knobloch als geldgeiler Sanatoriumsbetreiberin. Joachim Foerster glänzt als Investitionserfinder Henry und Katharina Behrens ist als Feli quasi omnipräsent. Ihnen allen gilt ein großes Lob. Denn Zellers Text stellt alle vor große Herausforderungen. Er besteht im Wesentlichen aus unvollendeten Sätzen, die wohl Suche und Unsicherheit manifestieren sollen. Leider führen sie nach anfänglichem Aufmerken und Erheiterung schnell zu unsagbarer Ermüdung und Verlust des Aufnahmevermögens.
Am 1. Februar 2002 erschien auf literaturkritik.de eine Rezension von Alexandra Pontzen zu Franziska zu Reventlows Geldkomplex, deren Fazit durchaus auch auf Zellers Stück Anwendung finden könnte: „So wenig das Geld (…) je konkret in Gestalt exakter Summen, Währungen oder materialer Platzhalter anschaulich wird, so wenig sinnlich wird auch das Leben im Sanatorium, so blass bleiben die Charaktere, so unfassbar ihre Geschichten. Der Geldkomplex ist ein (…) zuweilen amüsanter Versuch mit einer originellen Grundidee.“