Antiken-Sirtaki
Antigone rappt es. Wohl selten ist ein doch eher langweilig zu nennendes Antikendrama wie Ödipus auf Kolonos so kurzweilig zusammengefasst worden. Damit auch das ganze Publikum die Vorgeschichte der Antigone kenne, wird sie flott und funky erzählt. Mit wunderbar virtuosen Rollenwechseln und einem Theseus, der exakt den gleichen Akzent hat wie Alexis vom „Olympia“ nebenan, wenn er deutsch spricht und den Ouzo nach dem Essen serviert.
Carmen Kalisch, Sven Schütze und Bodo Wartke lassen nicht viel aus in ihrer Version von Sophokles‘ Antigone. Auf gar keinen Fall einen ganz schlechten Reim. Nach dem wird geradezu gestrebt. Es scheint gerade Ziel zu sein, die Meisterschaft in der Kunst des Schlecht-Reimens erringen zu wollen.
Ja, das ist schweinskomisch. Nein, das Drama wird dabei nicht auf die die Schippe genommen - dramatisch bleibt es allemal. Aber ja: komisch ist das auch, schweinskomisch sogar. Aber das sagten wir ja bereits. Nein, Musik schadet Sophokles überhaupt nicht. Die bringt ihn eher auf den Punkt. Gibt es ernste Probleme? Klar: Die Betonung auf der drittletzten Silbe im Altgriechischen wird ausführlich problematisiert, doch der gelehrte Disput nicht letztendlich zum Abschluss gebracht. War‘s das? Nein, die Geschichte von Antigone, die sich um der Liebe willen nicht an Gesetze halten mag und aufbegehrt, wird erzählt und man kapiert sie gerade wegen Wartkes Musik und den echt voll durchgeknallten Reimen. Und Spaß macht die Belehrung auch noch und das Versmaß zählt auch keiner.
Man ist sicher kein einsamer Rufer in der Wüste um vorherzusagen, dass diese Antigone ein ewig ausverkaufter Dauerbrenner am Wolfgang-Borchert-Theater werden wird. Und das liegt nicht nur am Stück, sondern auch an Florian Bender, der in seinem Regiedebüt mit seinem Team mannigfaltigen Texten mannigfaltige Darstellungsformen zur Seite stellt. Schlachten im Schattenspielformat, Ärmelaufschläge symbolisieren Rollenwechsel und das Orakel von Delphi tanzt derwischgleich über die Bühne. Bender setzt Ideen und den ein oder anderen Clou sparsam ein und überfrachtet nichts. Das kommt dem Stück zugute.
Neben Bender und seinem Regieteam hat der Erfolg dieser Inszenierung aber vor allem drei „Mütter“. Rosana Cleve und Erika Jell spielen viele Rollen - ach was, sie sprechen, singen und deklamieren sie. Und das mit soviel Lust und Laune, dass es einem schwindelig werden kann: Antigone, Ödipus, Kreon und die unglückseligen Zwillinge - alle sind bei ihnen in guten Händen. Gerappt, gesprochen und gesungen - Cleve und Jell machen sie zum Highlight und geben dem Affen dabei so richtig Zucker. Und doch: die Zügel hat Stephanie Rave in den Händen. Sie spielt die kleinen Rollen, hat aber musikalisch „das Sagen“. Sie drückt mit Klavier und singender Säge der Inszenierung ihren Stempel auf. Das Publikum applaudiert stehend Bender, Cleve, Jell, Rave und allen anderen Beteiligten.
Ach ja: Hatten wir schon erwähnt, dass im Altgriechischen auf der drittletzten Silbe betont wird? Aber das erklärt man Ihnen im Borchert-Theater sicher gern selbst.