Blick auf das Leben in Deutschland
Das Dokumentarstück Die Lücke 2.0 bezieht sich auf das grausame Nagelbombenattentat in der Keupstraße im Jahr 2004, wobei 22 Menschen stark verletzt wurden, einige sogar lebensgefährlich. Im Anschluss an diese Tat wurde von der Behördenseite jahrelang nur in Anwohner:innenkreisen ermittelt. Zuerst ging man von einem Terrorismushintergrund aus, dann aber kam man zu der Ansicht, die Täter kämen aus dem Clan- und Dealermilieu in der Keupstraße, eine ungemeine Verletzung der damals Betroffenen und ihrer Angehörigen. Fassungslos mussten sie Bemerkungen der Polizei wie „Einer von euch war es“ anhören. Jegliche Empathie gegenüber den Bewohnern der Keupstraße fehlte.
Warum nun die Neuauflage des Stückes Die Lücke von 2014, das der Regisseur Nuran David Calis gemeinsam mit drei Anwohner:innen der Keupstraße und drei Mitgliedern des Kölner Schauspielensembles erarbeitete? Damals hatte der Gerichtsprozess gegen die Mitglieder des sogenannten nationalsozialistischen Untergrundes in München gerade erst begonnen. Er endete nach fünf Jahren mit einem für die Angehörigen der Opfer frustrierenden Urteil, u.a. mit geringen Strafen für viele Mitangeklagte. In der Lücke 2.0 werden Anwohner: innen nach sieben Jahren die drei Betroffenen aus der Keupstraße - Kutlu Yurtseven, Ayfer Santürk Demir und Ismet Büjük - erneut befragt, wie sie mit diesen enttäuschenden Gerichtsentscheidungen umgehen. Im Gespräch mit ihnen sind Kristin Steffen und Stefko Hanushevsky vom Kölner Ensemble. Viele Aspekte der ersten Lücke werden bei dieser Neuinzenierung übernommen. So der Gang durch die Keupstraße in kleinen Gruppen zu Beginn des Abends. Höchst interessant der Blick in das lebendige, vielfältige Miteinander in dieser Straße. Dann folgt die Vorstellung auf der Bühne. Auch hier erkennt man das Bühnenbild von 2014 wieder: zwei weiße kubusähnliche Elemente, die einerseits als Projektionsfläche für Videos dienen, andererseits sitzen sich die drei Vertreter der Keupstraße und die zwei Schauspieler gegenüber. Dazwischen ein Spalt, die Lücke. „Eine Lücke in den verschiedenen Anschauungsmodellen“, sagt Kristin Steffen. Eine Straßenlaterne steht in dieser Lücke, ab und an wird ein Fahrrad daran gelehnt. An einem Fahrrad war die Nagelbombe befestigt, die 2004 detonierte. Videoeinspielungen und Spielszenen wechseln sich ab. Das Publikum erfährt, warum die Keupstraße-Bewohner frustriert sind. Yurtseven sagt zum Beispiel: „Ich dachte schnell, das können nur Nazis sein, aber niemand wollte das migrantische Wissen hören. Es wird nie aufhören.“ Und Demir ergänzt: „Dein Leben wird nicht wertgeschätzt.“ Alle Mitwirkenden sprechen frei, improvisieren. Zunächst hören wir Geschichten der Bewohner der Keupstraße, die uns einen Einblick in die Besonderheiten dieser Mikrogesellschaft geben, aber uns auch ihre Wut und Ängste bezüglich der NSU-Verfolgung nachvollziehen lassen. Aktuelles wird ergänzt. So der zurzeit laufende Prozess gegen einen Kommunalpolitiker, der auf türkische Jugendliche schoss. Angeklagt wird er nur wegen gefährlicher Körperverletzung.
Fakten und Gefühle lassen uns die Enttäuschung und den Frust des Trios aus der Keupstraße gut nachvollziehen. Nicht zu vergessen die Frage nach dem noch nicht realisierten Mahnmal, das ein Erinnerungs- und Lernort in der Nähe der Keupstraße sein soll.
Die Schlussszene macht uns per Video bekannt mit einer Erzieherin, die mit einer Kindergruppe an einem Tag nach dem Attentat über die totenstille Keupstraße ging. Als die Kinder jedoch anfingen, zu singen, kehrte das Leben zurück.
Ein überaus wichtiger Abend, der uns ein sehr relevantes und höchst aktuelles Thema vor Augen führt, das zum notwendigen Dialog einlädt. Denn, wie Yurtseven so richtig feststellt, die Bombe der Rechtsterroristen sollte nicht nur die Türken, sondern auch die Stadt Köln treffen.
Das Publikum zeigt mit Standing Ovations seine Begeisterung für diesen wichtigen Beitrag des Theaters.