Identitti im Schauspielhaus Düsseldorf

Wenn Geschlecht fluid sein kann, warum dann nicht auch die eigene Herkunft?

Was für eine gnadenlos witzige Identitätssuche, die nichts und niemanden schont. Man ist nach der Lektüre des Romans nicht bloß schlauer - sondern auch garantiert besser gelaunt.“ (Alina Bronsky)

Die Uraufführung Identitti ist die Adaption des gleichnamigen Romans, der es in diesem Jahr auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises schaffte. Roman und Stück handeln von einer Düsseldorfer Professorin für interkulturelle und postkoloniale Studien, die vorgibt, Inderin, d. h. „Person of Colour“ zu sein, in Wahrheit aber eine rein deutsche Weiße ist, sich die Haut verdunkeln ließ, ihren Namen Sarah Vera Tielmann ablegte und sich nach der hinduistischen Göttin „Saraswati“ umbenannte. Es kommt zur Entlarvung und sie erntet einen wahren Shitstorm im Netz.

Witzig und gewagt geht die Kulturwissenschaftlerin Mithu Sanyal das Thema an: Im Mittelpunkt steht - neben Saraswati (gespielt von Friederike Wagner und Leila Abdulla) - die Studentin Nivedita Anand, alias IDENDITTI oder etwas umständlicher „Mixed-Race-Wonder-Woman“ (gespielt von Cennet Rüya Voss), die als Bloggerin ihre Community regelmäßig mit intelligenten Posts zu Sex und Race versorgt. Selbst Person of Colour mit polnischer Mutter und indischem Vater (wie übrigens auch die Autorin), beruft sie sich bei all ihren klugen Ideen und Inspirationen auf die von ihr hochverehrte Professorin Saraswati, deren Identitätsbetrug sie dann zutiefst erschüttert. Die gesamte PoC-Community tobt.

Das ist der Plot, den man kennen sollte, um der knallig-turbulenten Bühnenadaption des jungen Regisseurs Kieran Joel folgen zu können. Schon die Guckkastenbühne mit Seitenflügeln mixt die Schauplätze: wie sich beim Spiel klärt, ist der Mittelteil mit Rheinblick auf den Düsseldorfer Fernmeldeturm das Professorinnen-Domizil, während sich rechts und links das spärlichen Mobilar der Studierenden-WG zusammen drängt. Allerdings wird dieses ohnehin nicht ganz einsichtige Arrangement durch permanente Video-Überblendungen weiter verfremdet. Mal sind es Projektionen der Live-Kamera, die verzerrt und überdimensional über die Wände flimmern, mal Ethno-Masken oder enttarnende Fotos der Protagonistin vor ihrer Umwandlung; am irritierendsten allerdings sind über die Bühne rasende Texte, Tweets und Posts, nachdem der Shitstorm einmal losbrach.

Doch nicht nur das Bühnenbild scheint durcheinander geraten, auch die Zeit, Medien und Fakten werden eifrig gemixt. Zunächst hören wir den Bruder der Professorin einen Brief verlesen, in dem er ankündigt, Geheimnisse zu lüften und nur noch die Wahrheit zu sagen. Diese bedrohliche Ansage bleibt zunächst mal so stehen, während in einem fiktiven Interview Verena, eine WDR5-Journalistin, die Schauspielerin Cennet Rüya Voss zum Stück Identitti befragt. Da geht nun alles durcheinander: C. R. Voss - das ist der wirkliche Name der Düsseldorfer Schauspielerin, die auch im wirklichen Leben in Bochum geborene „Ausländerin“ ist - scheint im Gespräch noch nichts zu wissen von der Enttarnung der verehrten Professorin und verteidigt sie gegen Rassismus-Vorwürfe, die sich allerdings nicht auf PoC beziehen, sondern auf die Tatsache, dass sie Weiße von ihren Vorlesungen ausschließt. Völlig absurd ist dabei, dass die Proben zur Roman-Adaption ja bereits laufen, Voss in ihrer Rolle der Nivedita, der Muster-Studentin der beschuldigten Professorin, den Roman (bzw. den Stücktext) also kennen muss. Und siehe da: ganz unbemerkt gleitet C. R. Voss während des Interviews in die Bühnen-Rolle, wechselt zur Nivedita und in die Gruppe der PoC. Das zu entwirren, könnte nun tatsächlich Stoff für eine Komödie sein. Im Buch braucht die Autorin 432 Seiten dazu. Mit dem von ihr selbst verfassten Stück auf der Bühne will es jedoch in zwei Stunden nicht recht gelingen. Da fehlen Sprachwitz und intellektueller Biss.

Das beginnt mit der Rollenbesetzung: Im Roman ist Nivedita eine junge Frau, 26jährig hat sie bereits einen Bachelor-Abschluss und argumentiert auf Augenhöhe. Voss‘ Nivedita/Identitti hingegen erscheint eher als Teenager auf Selbstfindungs-Tripp. Dazu passt das Hickhack mit dem weißen Freund Simon, den Joscha Baltha als wibbeligen Teeny gibt. Welten von den jungen Leuten entfernt, die Professorin in senffarbigem Hosenanzug mit indisch gemusterten Schal und das gleich in doppelter Ausführung: einmal in Blond (Friederike Wagner) und einmal dunkelhaarig (blass: Leila Abdullah). Diese Aufspaltung der Persönlichkeit widerspricht zutiefst der identitätspolitischen Theorie der Protagonistin, dass sich die Identität eben nicht aus abspaltbaren Einzelteilen wie Herkunft, Hautfarbe und dergleichen generiert und definiert. Zudem wird der Text völlig wahllos zugeteilt. Charisma geht von diesem Double wahrlich nicht aus.

Überzeugend und humorig dagegen Serkan Kaya als indische Göttin Kali, die die ratlose, zutiefst verunsicherte Nivedita gleichsam als Schutzpatronin mit Rat und Tat durch das Stück begleitet. Grotesk auf Stöckelschuhen balancierend, bis an die Haarwurzeln blau lackiert, mit acht Armen und jeder Menge Skalpe um die Hüften gibt sie durchaus auch Zynisches von sich, wie etwa : „Wir stellen uns doch alles Mögliche vor im Theater. Warum bei der Hautfarbe eine Linie ziehen.“

Ansonsten gibt es reichlich Belehrendes zu Rassismus, vor allem strukturellem Rassismus, Faschismus, Kolonialismus, zu Unterdrückungskategorien, Genderfragen und Self-Empowerment, auch Judith Buttler muss herhalten. Da wird es dann doch eher zu etwas überfrachtetem Diskurstheater. Vor allem wenn Fnot Taddese (selbst PoC) als Studentin Oluchi ihren Frust durchs Megaphon brüllt: „Für uns geht es um Leben und Tod“ und der aufklärerische Bruder der von ihm vorgeführten Professorin (mäßig gegeben von Mehdi Moinzadeh) als adoptiertes (gekauftes?) indisches Waisenkind eine grelle Schlusspointe setzt.

Zwischen all den klugen Botschaften, an denen Mithu Sanyal zweifellos sehr gelegen ist, gibt es auch Musik und Tanz, Selbstironisches und Humoriges, wenn etwa wiederholt von Sex geredet und dazu der pinkfarbene Roman „VULVA“ der Autorin hochgehalten wird. Doch die knallbunte Verpackung gleicht die Schwäche der Regie nicht aus.