Übrigens …

Was Ihr wollt im Theater Münster

Shakespeare mit feiner Klinge und grobem Spaß

Ohn‘ Unterlass segeln beschaulich rote Papierherzen vom Himmel herab. Permanent sich drehende Walzen entlassen sie rieselnd auf ihren Weg zum Bühnenboden, den sie bald bedecken. Sanfte Symbole sind sie, damit niemand vergesse, worum es in Shakespeares Was ihr wollt geht: die Liebe. Und so, wie die Liebenden sich wild in den Papierherzen wälzen, mit ihnen um sich werfen oder sie den Objekten ihrer Begierde anstecken, genauso viele Ausprägungen kann Liebe haben. Davon erzählt William Shakespeare, davon erzählt aber auch Regisseurin Julia Prechsl. Die konzentriert sich eigentlich nur auf den Kern von Shakespeares Komödie, in der die Zwillinge Sebastian und Viola sich ins jeweils andere Geschlecht durch Verkleidung verwandeln und dadurch in wilde Liebesverwirrungen geraten. Prechsl toppt Shakespeare noch, treibt seine Verkleidungsvorgaben auf die Spitze, indem sie auch noch die Darsteller*innen der Zwillinge Sebastian und Viola das Geschlecht tauschen lässt. So wird die als Mann verkleidete Frau wieder zur Frau und umgekehrt. Das ist nicht halb so verwirrend wie es klingt, sondern bei Shakespeare eigentlich nur logisch. Es gibt bei Julia Prechsl also zwei Varianten der Komödie, also auch zwei unterschiedliche Premieren: „Wind“ und „Regen“. Rose Lohmann und Paul Maximilian Schulze wechseln ihre Rollen, je nach Aufführungstermin...

Prechsl führt mitten hinein in eine derzeit sehr intensiv geführte gesellschaftliche Debatte um Geschlechterzugehörigkeit und Definition derselben. Die Regisseurin zeigt mit Shakespeare, dass exakte Definitionen nicht der Weisheit letzter Schluss sein müssen, sondern auch schnell in Borniertheit münden können. Lasst doch Liebe und Gefühlen einfach mal freien Lauf, lasst Euch einfach mal ein, ohne vorher großartig nachzudenken! Das atmen die Agierenden auf der Bühne, zeigen Verletzlichkeiten, wildes Imponiergehabe und totale Unsicherheiten. Liebe in all‘ ihren oft irrationalen Äußerungen eben.

Valentin Baumeister schmiedet als Spielfläche ein metallenes Halbrund, das an eine Globe Theatre Form erinnert und nach Herzenslust beklettert werden kann - ein idealer Ort, um die überschüssige Energie Frischverliebter durch Bewegung loszuwerden. Auch für derbe Komik ist gesorgt. Dafür sorgen Regine Andratschke als versoffener Sir Toby, Frank-Peter Dettmann als hasenfüßiger Sir Andrew und Christian Bo Salle als sich selbst überschätzender und die Realität ausblendender Haushofmeister Malvolio. Sie bilden den laut lärmenden Kontrast zur poetischen Liebesgeschichte. Die beiden Stränge verbindet der Narr. Nicola Lembach kann kräftig austeilen, sich aber auch hintersinnig in Doppelbödigkeiten ergehen. Klug verkörpert sie beide Seiten von Was ihr wollt.

Jonas Hackmanns Liebe zu Olivia ist stürmisch und bricht wie eine Naturgewalt aus ihm heraus. Kraftstrotzend und Erfüllung fordernd ist sie. Das hindert ihn als Orsino, den Herzog von Illyrien, aber nicht daran, später Viola genau so einnehmend zu lieben. Yana Robin le Baume ist Olivia, die den Herzog verschmäht, sich in seinen Boten verliebt, um dessen Zwilling zu bekommen. Le Baume ist in allen Phasen absolut überzeugend und mit großer Emphase mitten im Geschehen.

Bei der „Regen“-Premiere spielt Rose Lohmann Sebastian, der seine erste Liebe zu Olivia erlebt. Unbedarft ist sie, stürmisch vorpreschend - und im nächsten Moment erschrickt sie über ihre eigene Forschheit. Paul Maximilian Schulze ist Viola, die ohnmächtig mit ansehen muss, wie ihr geliebter Orsino sich in endlosen Monologen über seine Liebe zu Olivia ergeht. Ja gar als Liebesbote muss er ihm noch dienen. Schulze lockt Violas Liebesqualen fast nachempfindbar hervor.

Begeistert feiert das Publikum den rundherum gelungenen Theaterabend um den Mann, der eine Frau spielt, die sich als Mann verkleidet und um die Frau, die einen Mann spielt. Shakespeare mit feiner Klinge und mit grobem Spaß.